Der lange Abschied vom schönen Leben

Bescheuerte Decken hatten seine violetten Blößen bedeckt. Trotzdem glaubte man beim Kauf, den Mangel beseitigt zu haben, der das Dasein bislang misslingen ließ. Nun wird die Entsorgung eines Sofas zum Verrat an der Vergangenheit

Als wir die Sachen aus dem Haus trugen, überlegte ich immer noch, ob ich das Sofa nicht doch behalten sollte. Als letztes Möbelstück stand das Sofa in der alten Wohnung, die leer stand, seit ich sie vor zwei Monaten verlassen hatte. S., die Künstlerin, hatte wie immer beim Umziehen ihren roten Overall angezogen, in dem sie so entschieden entschlossen, also auch ein wenig selbstironisch aussah; in seiner dunklen Lederjacke wirkte H. so kreuzbergisch wie auch sonst hinterm Tresen; M. trug ein Siebzigerjahrejackett, und manchmal nahm er seine Brille ab, weil ihn der Schweiß in seinem Gesicht behinderte.

Während wir Bücher, Platten, Trödelmöbel, Mao-Poster, historische Musikanlagen und blaue Beutel mit Klamotten wegtrugen, dachte ich an das Sofa, Modell Colombo, das sich ganz allein in dem kleinen Zimmer der alten Wohnung langweilte.

Es war sozusagen Geist und Materie, ein floral motivierter Zweisitzer zum Ausziehen, den ich mir vor 13 Jahren in der irrsinnigen Hoffnung gekauft hatte, als Sofabesitzer in einem schönen Leben landen zu können. Doch schön war wie immer nur die Hoffnung darauf gewesen, diese Wochen im Frühling 91, als sich der Wunsch aufs imaginäre Sofa geworfen hatte, als man meinte, den Mangel entdeckt zu haben, der das Dasein bislang misslingen ließ. Wunsch und Mangel hatten sich zusammengeschweißt, und ich hatte wochenlang alle Berliner Möbelhäuser auf der Suche nach einem praktisch-sachlichen Ausziehsofa abgeklappert.

Ermüdet vom Suchen – und wohl auch aus Solidarität mit dem Osten –, hatte ich damals das Modell Colombo gekauft. Das teuerste Möbel, das ich mir je gekauft hatte. Modell Colombo wurde in den Farben von 91 bezogen – Violett, Veilchenfarben und Pink – und kam dann auch nach ein paar Wochen. Damals war ich schon völlig entsetzt gewesen, als die Möbelpacker es in meinem Zimmer abgestellt hatten. Zwei Jahre hatte ich darauf geschlafen. Meine Freundin hatte nur noch ungern bei mir übernachtet. Meist hatten unterschiedlich bescheuerte Decken seine violetten Blößen bedeckt.

Irgendwie saß man darauf auch unbequem, und dann hatte es eher ein Schattendasein geführt; manchmal auch auf dem Dachboden gestanden, die letzten Wochen meine frierende Exwohnung bewacht, und als wir nun in die kalte alte Wohnung gingen, tat es mir Leid, wie es so dastand; ein komisch aussehender Freund vergangener Tage. So viele Menschen hatten doch darauf gesessen, und es kam mir brutal vor, wie wir es nun die Treppen runterschleiften, anstatt es behutsam zu tragen, es ins Auto reinquetschten, um es wegzufahren und die Vergangenheit, die ich bezahlt hatte, zu verraten und zu vernichten.

Die Vorstellung, es wirklich wegzuschmeißen, gefiel mir nicht. Den Trödlern gefiel das Sofa nicht; die Lager seien gefüllt – selbst bei der Motz, in deren letzter Ausgabe eine so schöne Geschichte gestanden habe, wie mir K. erzählt hatte, an diesem Abend, als sie wieder mit dem Kiffen aufgehört hatte; wie jedes Jahr, bis Himmelfahrt.

Es war zwar kalt, doch die Sonne schien, als wir Richtung Tempelhof zur Müllentsorgungsstelle der BSR fuhren. H. suchte im Radio nach dem Rocksender. Freunde von ihm, die in einer Band spielten, sollten da heute interviewt werden. Mir wurde ganz sentimental, als wir auf den Müllentsorgungshof fuhren. Ein lachender Müllwerker mit Bürstenhaarschnitt erklärte die unterschiedlichen Container, in die man seine Sachen tun sollte. Das Sofa sollte in die Sieben.

Die Sieben war ein großer orangefarbener Container mit angeschlossener Zermalmungsmaschine. Der Müllwerker sagte stolz, das gehe alles ganz schnelle. Wir stiegen mit dem Sofa auf eine Empore und kippten es in den Container. Ich fotografierte es zum Abschied. Lachend hielt der Müllwerker die Maschine an und schaltete in den Rückwärtsgang. Damit ich den Grad der Verwüstung, Zerreißung, Zerhackung, den die alles zermahlende Maschine in meinem Sofa schon jetzt angerichtet hatte, besser fotografieren konnte.

Noch ein kurzer Abschiedsblick auf die Innereien meines Exsofas, die mich hilflos, ungeordnet, zerfetzt anschauten, dann wieder Vorwärtsgang. Nach zwei, drei Minuten war alles vorbei, und erst später kam das erinnernde Entsetzen. Und doch war es auch ein lehrreich-anschauliches Beispiel der Überlegenheit der Maschine über den Menschen, der Stunden und wohl auch mehr Treibstoff brauchte, seine Sofas mit Händen, Füßen und Zähnen zu zerkleinern.

Auf der Rückfahrt hieß der Rocksender „Star FM“. H.s Freunde waren mit den Ärzten befreundet und sagten was im Radio. Sie machten einen lustig-lebendigen Eindruck. Alles lief ganz enstpannt ab. H. war stolz auf seine Freunde. „So weit, bis ins Radio, hat’s noch keiner von uns gebracht.“

DETLEF KUHLBRODT