„Wir hatten schon leichtere Momente“

PDS-Chef Stefan Liebich zieht zur Halbzeit der Legislaturperiode Bilanz: Kitagebühren und Studienkonten wären ohne die PDS noch schlimmer. Lieber will er mit ehrlicher Realpolitik Wähler verlieren als auf einen grundfalschen Kurs einschwenken

VON THORSTEN DENKLER

taz: Herr Liebich, hat die PDS noch so etwas wie Gestaltungsmacht?

Stefan Liebich: Gestalten kann man, wenn man Optionen hat. Wir als PDS glauben, dass wir diese Optionen haben, auch wenn die Rahmenbedingungen sehr eng sind.

Aber Haushaltnotlage kann doch nur bedeuten, zu entscheiden, wo mehr und wo weniger gekürzt wird. Ist das schon Gestaltung?

Prioritätensetzung kann in Berlin nun mal nicht heißen, in einem Bereich noch was draufzupacken. Ich denke, dass Prioritäten nicht immer etwas mit Geld zu tun haben, sondern auch mit Inhalten. Unser neues Schulgesetz etwa ändert viel, kostet aber wenig.

Liegt in der Finanzkrise eine Gestaltungschance?

Ich würde es anders formulieren. Aber richtig ist: Durch die Enge der Haushaltsvorgaben sind Veränderungen möglich, die früher nie angegangen worden wären. Vieles wäre einfach immer so weitergegangen.

Sie haben kurz nach der Unterzeichnung des Koalitionsvertrags gesagt: Dies ist die Möglichkeit, zu beweisen, dass in der PDS nicht nur Verrückte sitzen. Bleiben Sie dabei?

Ja, selbstverständlich.

Ist es nicht verrückt, eine Politik betreiben zu müssen, die aller Wahrscheinlichkeit nach Machtverlust bedeuten wird?

Zum Sparkurs des Senates sehe ich keine gerechtere Alternative. Das ist nicht verrückt, sondern ehrlich. CDU, FDP und Grüne stünden übrigens heute vor den gleichen Problemen wie wir.

Wo liegt dann der Unterschied zwischen einer rot-roten und einer bürgerlichen Landesregierung?

Ich glaube, dass jede Regierung gezwungen wäre, einen Haushaltskonsolidierungskurs zu fahren. Aber wie der angegangen wird, kann sehr unterschiedlich sein. Wir als PDS sehen unsere Rolle darin, es anders zu machen, als etwa SPD und Grüne im Bund. Dort werden, kurz gesagt, die Alten, Kranken und Schwachen belastet und die besser Verdienenden entlastet. Wir achten darauf, dass, wenn wir schon Belastungen verteilen müssen, dies sozial gerecht geschieht.

Ein Beispiel parat?

Die Kitagebühren. Wir haben erreicht, dass die unteren Einkommen nicht belastet werden, die mittleren ein wenig und die oberen sehr stark.

Am kommenden Sonntag soll auf dem PDS-Landesparteitag ein Studienkontenmodell verabschiedet werden. Gegner halten das für den Einstieg in Studiengebühren. Sie sagen, das ist umgekehrt der Versuch, Studiengebühren zu vermeiden. Fühlen Sie sich ähnlich wie bei den Kitagebühren ungerecht behandelt?

Die PDS will keine Studiengebühren. Aber damit befinden wir uns bundesweit allein auf weiter Flur. Wer sich umsieht, muss feststellen, die Türen für Gebühren stehen sperrangelweit offen. Da hielten wir es für klug, in die Offensive zu gehen, was unser Wissenschaftssenator getan hat. Ich halte seine Lösung für besser als Studiengebühren, weil sie ein sehr langes Teilzeitstudium ermöglicht – bis zu 24 Semester. Aber es gibt auch diejenigen, die sagen, das kann erst als Türöffner verstanden werden. Ich finde, wenn wir aber erst mal ein funktionierendes System haben, dann kann man das so leicht nicht mehr kippen.

Das klingt sehr nach Realpolitik. Für manche in der PDS durchaus ein Schimpfwort.

Nicht mehr in der Berliner PDS. Ich war aber immer dafür, in der Bundespartei offen darüber zu reden, ob es sich für uns lohnt, unter den gegebenen Bedingungen Regierungspolitik zu betreiben. Ich sage: Ja, es lohnt sich.

Wäre Rot-Rot für Brandenburg ein Segen?

Es wäre für die Brandenburger die bessere Alternative, und es gäbe Berlin und Brandenburg die Chance, in einigen Fragen stärker gemeinsam an einem Strang zu ziehen.

Das Bundesverfassungsgericht sagt, die Länder sollen den Kopftuchstreit lösen. In Berlin scheinen SPD und PDS an diesem Punkt ungebremst aufeinander zuzurasen. Wowereit will das Verbot, die PDS überwiegend nicht.

Es gibt in der Bevölkerung eine klare Mehrheit für ein Verbot. Und in der Berliner Parteienlandschaft hält nur die PDS den bürgerrechtlichen Aspekt hoch. Das darf meine Partei nicht außer Acht lassen. Richtig ist: Wir sind nicht für das Kopftuch, sondern gegen ein Verbot. Aber wir koalieren nun mal mit einer Volkspartei. Deswegen diskutieren wir zwei Möglichkeiten. Kein Verbot auf allen Ebenen, sondern nur in bestimmten Bereichen. Und ein deutliches Zeichen pro Integration setzen. Was nicht passieren darf ist, die existierende Stimmung gegen den Islam noch zu schüren.

Was könnte das für ein Zeichen sein?

Die Verhandlungen laufen noch, deshalb werde ich das Ergebnis nicht vorwegnehmen. Nur so viel: Beide werden etwas abgeben müssen, wenn man sich verständigen will.

Zur Gestaltungsmacht auch eines nur relativ kleineren Koalitionspartners gehört, Personalentscheidungen zu beeinflussen. Wie lange können und wollen Sie den umstritten Senator Peter Strieder noch stützen?

Erstens gilt: Personalentscheidungen in der SPD liegen grundsätzlich im Zuständigkeitsbereich der SPD. Aber es gibt Grenzen. Wenn bewiesen werden sollte, was viele behaupten, nämlich dass es einen direkten Zusammenhang zwischen Senatsentscheidungen zum Tempodrom und Parteispenden an die SPD gibt, ist diese Grenze erreicht. Das könnten wir als PDS nicht mittragen.

In der öffentlichen Debatte geht es nicht mehr um wahr oder unwahr, sondern um Strieder als Person. Ist er eine Belastung für die Koalition?

Diese Situation ist keine einfache.

Also eine Belastung oder nicht?

Ich sage es so: Wir hatten schon leichtere Momente.

Ihr Wissenschaftssenator Flierl trägt auch nicht gerade zu einer neuen Leichtigkeit bei. Sehen Sie für ihn noch Möglichkeiten, das Jahr 2006 als Senator zu erleben?

Alle drei PDS-Senatoren machen eine ausgesprochen gute Arbeit. Thomas Flierl hat einen neuen Politikstil in die Arbeit gebracht, der sich mit dem bisher üblichen beißt. Aber sein Stil, den manche böse als Lavieren bezeichnen, hat es erst ermöglicht, etwa so eine schwierige Entscheidung wie die Opernstiftung hinzukriegen, an der ganz viele Akteure und Interessen beteiligt waren und vor ihm alle Senatoren gescheitert sind.

Wollen Sie sagen, Lavieren hilft in der Politik?

Ja, es hilft zuweilen, getroffene Entscheidungen nicht wie ein Bulldozer durchzuziehen, sondern Veränderungen zuzulassen.

Warum stand Flierl am Ende nicht zu der Entscheidung, den Symphonikern kein Geld mehr zu geben, und hat stattdessen die Verantwortung dem Parlament zugeschoben?

Er hat zugegebenermaßen mit seinen Formulierungen Hoffnungen geweckt, die, weil sich in den Verhandlungen mit der Orchestervereinigung eben nicht mehr erreichen ließ, unerfüllbar waren.

Wahlen gewinnt man normalerweise, wenn man Geschenke zu verteilen hat. Haben Sie für 2006 noch etwas in petto?

Es ist einfach nicht die Zeit für Geschenke. Wir müssen mit Inhalten überzeugen, mit unseren Konzepten zu Bildung und Innovation, mit Berlin als Hauptstadt der Bürgerrechte und Demokratie, mit unserem Kampf gegen Filz und Korruption.

Nicht sehr sexy, wenn die CDU jedem vorrechnen kann, was er durch Rot-Rot weniger in der Tasche hat.

Das ist ein neue und schwierige Situation. Ich kann nur hoffen, dass die Unterschiede deutlich werden. Die CDU hat viel zur heutigen Notlage beigetragen, und sie hat kein eigenes inhaltliches Konzept …

und führt damit die Umfragewerte an.

Ja, leider. Aber wir können nicht auf den Kurs der CDU einschwenken und leere Versprechungen machen.

Also standhaft bleiben und mit wehenden Fahnen untergehen?

Mir ist es lieber, für eine ehrliche Position Wähler zu verlieren, als auf einen Kurs einzuschwenken, den ich für grundfalsch halte.

Keine Sorge, dass Sie ein Wählerbündnis links überholt?

Wenn wir mit diesem Bündnis eine Debatte führen, wer die besseren Konzepte für Berlins Zukunft hat, dann hat es schlechte Chancen. Bislang heißt es dort nämlich nur: Haushaltskonsolidierung ist nicht nötig. Ich weiß, dass solche Bündnisse Einzelerfolge bei Wahlen haben können. Das aber stärkt am Ende die Bürgerlichen.