Körting fordert Integration statt Abschiebung

Anders als viele Ministerkollegen hält Berlins Innensenator nichts von einer Ausweisung von bloß Verdächtigen. Er fordert Bleiberecht und Berufsförderung für Palästinenser. Denn Perspektivlosigkeit sei ein Nährboden für Terrorismus

Kurt Beckstein (CSU), Innenminister von Bayern, setzt auf schweres Geschütz. Sein Berliner Kollege, Ehrhart Körting (SPD), kämpft lieber mit dem Florett. Während Beckstein zur Abwehr von terroristischen Anschlägen in Deutschland die Bundeswehr auffahren lassen will, möchte Körting das Übel lieber an der Wurzel packen. Mit einer Verschärfung von Sicherheitsmaßnahmen und Ausweisung von verdächtigen Personen „kratzt man nur an der Oberfläche“, sagte Körting gestern am Rande des Innenausschusses.

Um dem Terrorismus im Inland das Wasser abzugraben, sei es vielmehr erforderlich, in Deutschland lebende palästinensische Flüchtlinge und junge Migranten wirklich zu integrieren. Was die palästinensischen Flüchtlinge angeht, müsse im Zuwanderungsgesetz ein Bleiberecht verankert werden. Für die jungen Migranten – 40 Prozent stehen nach dem Ende der Schule vor dem beruflichen Nichts – müssten wirksame Programme zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit aufgelegt werden.

Auch wenn er es selbst nicht so sagte: Mit seinem Plädoyer, keine abgehobene Sicherheitsdebatte zu führen, sondern sich den sozialen Problemen zuzuwenden, grenzt sich Körting nicht nur von seinen schwarzen Innenministerkollegen ab, sondern auch von Bundesinnenminister Otto Schily (SPD). Der hatte in den vergangenen Tagen mit der Forderung nach einer schnellen Abschiebung und Sicherungshaft für terrorismusverdächtige Ausländer von sich Reden gemacht. Wie Körting gestern bestätigte, hat Schily die Bundesländer beauftragt, ihm verdächtige Personen zu benennen. Nach Informationen der taz hat Berlin rund zehn Namen aufgelistet. Körting wollte das gestern nicht bestätigen: „Wir haben das Erforderliche veranlasst.“

Ein bloßer Verdacht reiche nicht aus, um eine Person des Landes zu verweisen, stellte Körting klar. Wenn sich der Verdacht durch Tatsachen erhärte, brauche es aber keine Gesetzesänderungen, um auszuweisen. Als Bespiel nannte er mögliche Anhänger der auch in Berlin schon in Erscheinung getretenen islamistischen Organisation Hib ut Tahrir. Seine Forderung, die Anstrengungen auf die Integration palästinensischer Flüchtlinge und junger Migranten zu konzentrieren, bekräftigte Körting mit den Worten: „Sonst züchten wir den Nährboden für den Terrorismus selbst.“ Perspektivlosigkeit mache „empfänglicher für Terrorismus“.

Der Türkische Bund Berlin Brandenburg (TBB), die Palästinensische Gemeinde in Berlin und die Grünen begrüßten Körtings Vorstoß. Er erwarte, dass sich Körting bei der Innenministerkonferenz für eine Gesetzesveränderung in puncto Bleiberecht einsetze, sagte Safter Cinar, Sprecher des TBB. Was die Bildungs- und Arbeitssituation von Migranten angehe, könne Berlin auch allein tätig werden. „Mit dieser Sparpolitik“, so Cinar, „ist das jedoch nicht zu realisieren“. Auch der innenpolitische Sprecher der Grünen, Wolfgang Wieland, warnte vor voreiliger Euphorie. „Dass der Appell richtig ist, heißt noch lange nicht, dass auch etwas passiert.“

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