Die 18-Minuten-Politik

Die Arbeitszeit im Staatsdienst soll verlängert werden – arbeiten wir tatsächlich zu wenig? Im Gegenteil: Längere Arbeitszeiten sind für viele stresssteigernd und für manche sogar kontraproduktiv

VON BARBARA DRIBBUSCH

18 Minuten. 18 Minuten länger pro Tag. So würde rein rechnerisch die Arbeitszeitverlängerung aussehen, wenn neu eingestellte Beschäftigte im öffentlichen Dienst der Westländer demnächst ganze 40 Wochenstunden ackern müssten statt 38,5 wie bisher. Achtzehn Minuten länger – das erscheint wenig. Doch hinter der harmlos wirkenden Aufstockung verbirgt sich ein Sparprogramm mit unterschiedlichen Auswirkungen auf die Beschäftigten.

„Letztlich geht es darum, Geld zu sparen und noch schneller Stellen abzubauen“, sagt Ver.di-Gewerkschaftssekretär Wolfgang Pieper. Dazu ist die Arbeitszeitverlängerung schlichtweg das billigste Instrument. Die vielen Überstunden, die in Behörden und Universitätskliniken geleistet werden, können mit einer tariflichen Aufstockung nämlich statistisch in Normalarbeitszeit umgewandelt und müssen dann nicht mehr mit Geld oder Freizeit abgegolten werden. Viele Beschäftigte im öffentlichen Dienst, gerade an Klinken, schieben in der Praxis Überstundenberge vor sich her.

PolitikerInnen, die sich von der Arbeitszeitverlängerung daher auch eine Art moralische „Vorreiterrolle“ für die Wirtschaft erwarten, sollten sich daher erst mal die Statistiken der tatsächlich geleisteten Wochenstunden anschauen. Laut dem Mikrozensus arbeiten beispielsweise rund 18 Prozent der Vollzeitbeschäftigten in Deutschland faktisch schon länger als 45 Stunden in der Woche – auch wenn in den Tarifen etwas ganz anderes steht. Selbstständige ackern sogar noch viel länger: Bei den Unternehmern im Handel und Gastgewerbe liegt die durchschnittliche Wochenarbeitszeit bei 52 Stunden, den Rekord halten die Bauern mit 60 Stunden in der Woche.

Heute schon wird dabei längst nicht alle Mehrarbeit der Angestellten in Geld oder Freizeit abgegolten. Etwa ein Drittel der Überstunden werden nicht bezahlt, schätzte das nordrhein-westfälische Arbeitsministerium aufgrund einer Umfrage. Das Problem der flexiblen Arbeitszeitgestaltung sei immer auch „die Kontrolle“, betont Hermann Groß, Arbeitszeitexperte beim Kölner ISO-Institut.

Je nach Tätigkeit schlagen lange Arbeitszeiten dabei mehr oder weniger aufs Gemüt. „Ist ein Arbeitsplatz sehr fremdbestimmt, dann werden auch längere Arbeitszeiten eher zu einer Belastung“, erklärt Armin Windel, Arbeitspsychologe bei der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin.

Das beste Beispiel für solche Stressjobs sind Callcenter. Sie verlangen schnelles Arbeiten, ein immer freundliches Auftreten, „viel Emotionsarbeit“, so Windel, und die Leistung der Mitarbeiter ist durch die Teamleiter leicht zu messen. Wer im stressigen Telefondienst sitzt, für den ist jede halbe Stunde mehr am Tag eine echte Zusatzbelastung.

Das Gegenbeispiel dazu fand sich bei den Internet-Dienstleistern der Neuen Ökonomie, wo sich die Mitarbeiter als eine Art Unternehmer in eigener Sache verstanden und Arbeit fast schon als Party gefeiert wurde – allerdings mit geringem ökonomischen Erfolg. Eine Arbeitszeitverlängerung kann sich jedenfalls immer auch kontraproduktiv auswirken – die Literatur über Zeitmanagement hat die schlimmsten „Killer“ schon ausgemacht: zu ausgedehnte Meetings, zu häufiges Checken der Mails und Kurzplausche zwischen den KollegInnen.