Afghanische Woche in Berlin

VON SVEN HANSEN

Neun Milliarden Dollar Hilfszusagen für die nächsten drei Jahre. Dieses Ziel möchte der afghanische Finanzminister Ashraf Ghani bei der internationalen Afghanistankonferenz am Mittwoch und Donnerstag dieser Woche in Berlin erreichen. Auf 11,8 Milliarden Dollar schätzt Ghani den Bedarf. Aber wenn in Berlin 80 Prozent davon gedeckt werden könnten, wäre das schon „ein großer Erfolg“, verkündete der Minister vergangene Woche in Kabul. Das wäre mehr als doppelt so viel, als Afghanistan bei der Tokioter Geberkonferenz im Januar 2002 zugesagt bekam. Damals gab es 4,5 Milliarden für vier Jahre.

Gemeinsam mit der Weltbank veranschlagte das afghanische Finanzministerium die benötigte internationale Hilfe für die nächsten sieben Jahre gar auf 27,5 Milliarden Dollar. Diese Mittel seien keine Wohltat, so Ghani, sondern würden Afghanistan nur helfen, sich „von einem Stadium schlimmer Armut zu Armut in Würde“ zu entwickeln. Die Gelder dienten dem Schutz vor internationalem Terrorismus und würden helfen, künftig Milliarden zu sparen. Würden die Zuflüsse dagegen auf dem bisherigen Niveau bleiben, könnte die Zukunft „düster“ aussehen.

Warlords sind friedlicher

Während Ghani mit negativen Szenarien mehr Engagement der internationalen Gemeinschaft fordert, zeichnet die Bundesregierung ein positiveres Bild von den Entwicklungen am Hindukusch. Das Land sei sicherer geworden, da die Taliban und al-Qaida nur noch auf 20 Prozent des Territoriums aktiv seien, heißt es. Auch sei trotz des jüngsten Konflikts in Herat eine Abnahme der Frequenz der Kämpfe der Warlords untereinander zu beobachten. Die Fortschritte seien zwar noch nicht ausreichend. Aber dass seit Ende 2001 mehr als drei Millionen Flüchtlinge aus dem Ausland zurückkehrten, beweise, dass das Land auf dem richtigen Weg sei.

Deutschland engagiert sich stark in Afghanistan und zeigt dies jetzt mit einem Tagungsmarathon. Insgesamt drei Konferenzen tagen in dieser Woche in Berlin. Die wichtigste davon ist die vierte große Afghanistankonferenz im Hotel Intercontinental. Über 60 Delegationen aus 40 Staaten werden auf dem zweitägigen Treffen erwartet, darunter auch Afghanistans Präsident Hamid Karsai und US-Außenminister Colin Powell.

Im Dezember 2001 waren auf dem Petersberg bei Bonn die Bildung einer Übergangsregierung und ein Fahrplan zum Frieden beschlossen worden. Ein Jahr später bekannte sich die internationale Gemeinschaft bei einer zweiten Petersbergkonferenz erneut dazu. In Tokio hatte es die Geberkonferenz für den Wiederaufbau gegeben, und in Washington, bei der UNO in New York oder seit einiger Zeit in der Brüsseler Nato-Zentrale fielen wichtige Entscheidungen über Militäreinsätze in Afghanistan.

Diese politischen, wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Prozesse will die Berliner Konferenz jetzt stärker miteinander verzahnen und zugleich das Engagement der internationalen Gemeinschaft in Afghanistan langfristig absichern. Denn der auf dem Petersberg vereinbarte Übergangsprozess reicht nur bis zu den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen, die eigentlich im kommenden Juni stattfinden sollten und am Wochenende von Präsident Hamid Karsai in Absprache mit der UNO aus organisatorischen und Sicherheitsgründen auf September verschoben wurden. Die Berliner Konferenz soll den Afghanen nun signalisieren, dass sich die internationale Gemeinschaft nicht nach den Wahlen zurückziehen wird. Zugleich sollen die bisherigen Hilfsprogramme ausgewertet und wo nötig verstärkt oder ergänzt werden.

Arbeitsteilig hatten sich die USA zur Hilfe beim Aufbau einer nationalen afghanischen Armee verpflichtet, Japan wollte Milizionäre demobilisieren und in die Gesellschaft reintegrieren, Deutschland die Polizei aufbauen helfen, Italien zu einer unabhängigen Justiz beitragen und Großbritannien die Drogenbekämpfung unterstützen. Die entsprechenden Programm waren nur zum Teil erfolgreich. So wurden erst weniger als 10.000 Soldaten ausgebildet, von denen bereits über ein Drittel den Dienst quittierten. Die Demobilisierung startete viel zu spät und zu zaghaft. Und die Drogenbekämpfung scheiterte völlig. Heute liefert Afghanistan 75 Prozent des weltweit gehandelten Heroins, in 28 von 32 Provinzen wird Opium angebaut, und laut dem UN-Office for Drugs and Crime (UNODC) planen zwei Drittel der afghanischen Opiumbauern, ihre Produktion noch auszuweiten.

Die deutsche Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul fordert deshalb von der Berliner Konferenz klare Schritte zur Bekämpfung des Drogenanbaus. Inzwischen hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass die Opiumproduktion die Sicherheitsprobleme in Afghanistan verschärft und der angestrebten Stärkung der Zentralregierung gegenüber den Warlords im Wege steht. Das Beispiel Drogenhandel zeigt, wie komplex die Probleme in Afghanistan zusammenhängen und warum die internationale Gemeinschaft ihre Arbeit deswegen stärker koordinieren muss.

Eine solche Chance bietet jetzt die Verschiebung der Wahlen, die auf den ersten Blick nach einem Zeichen der Schwäche aussieht. Aber die afghanische Regierung und die internationale Gemeinschaft haben damit nicht nur drei Monate mehr Zeit, um Wähler und vor allem auch Wählerinnen zu registrieren, sondern auch, um mehr Milizionäre zu demobilisieren und mit verstärkten Anstrengungen für mehr Sicherheit wenigstens halbwegs faire Wahlen vorzubereiten.

Eine von vielen Afghanen gewünschte landesweite Ausweitung der bisher auf Kabul beschränkten 5.500 Soldaten starken internationalen Friedenstruppe Isaf dürfte allerdings in Berlin nicht beschlossen werden. Dazu fehlen weiter Staaten, die zu einer wesentlich größeren Truppenentsendung bereit sind. Trotzdem ist mit mehr Soldaten in Afghanistan zu rechnen. Bereits in den letzten Tagen hat die US-Regierung 2.000 zusätzlichen Marines den Marschbefehl erteilt. Sie sollen nicht Isaf verstärken, sondern Kämpfer von al-Qaida und Taliban jagen, was vor den US-Wahlen als wichtig angesehen wird.

Konkurrenz mit dem Irak

Beobachter erwarten, dass mehr als die bisher elf bewaffneten „Wiederaufbauteams“ (PRTs) in Provinzstädten aufgestellt werden, zu denen auch das deutsche in Kundus zählt. Die PRTs sollen die Präsenz der Zentralregierung in den Provinzen stärken und den Aufbau mit Vorzeigeprojekten stützen. Zudem engen sie den Spielraum der Warlords ein.

Das deutsche PRT in Kundus ist das erste, das mit der Nato-geführten Isaf in Kabul verzahnt ist. Für diese Teams von 80 bis 250 Soldaten dürften sich künftig eher Truppensteller finden lassen. Der designierte spanische Ministerpräsident José Luis Rodríguez Zapatero hat bereits angekündigt, spanische Truppen aus dem Irak abzuziehen und mehr Soldaten nach Afghanistan zu schicken.

Ohnehin konkurrieren die beiden Wiederaufbauprozesse in Irak und Afghanistan nicht nur um Ressourcen, sondern stehen auch für unterschiedliche Vorgehensweisen. Während die USA im Irak als Besatzungsmacht auftreten und andere Staaten sowie der Regierungsrat allenfalls Erfüllungsgehilfen sind, ist das Engagement in Afghanistan mit einer starken Rolle der UNO eine vergleichsweise echte internationale Anstrengung samt lokalem Counterpart. Eine erfolgreiche Berliner Konferenz ist deshalb nicht nur ein Signal nach Kabul, sondern auch an die Unilateralisten in Washington.