Die Grünen haben sich ganz lieb

Friede ist eingekehrt nach der Urabstimmung um Amt und Mandat. Eine weitere Nabelschau wird sich die Regierungspartei so schnell nicht leisten

aus Berlin LUKAS WALLRAFF

Sie waren sich nicht sicher. Sie waren sich gar nicht sicher, die grünen Funktionäre. Wen man auch fragte in den letzten Tagen, niemand wagte einen Tipp, wie sie wohl ausgehen werde, die Urabstimmung über die Aufhebung der strikten Trennung von Amt und Mandat. „Es wird knapp“, vermuteten die meisten. Und manche hatten sogar Angst. Angst vor der eigenen Basis. Angst, dass ein knappes Ergebnis angefochten werden könnte, dass es dann wieder losgeht mit dem Streit und mit den bösen Kommentaren: Die spinnen, die Grünen, während das Land in der Rezession versinkt, beschäftigt sich die Regierungspartei mit ihrer Satzung.

Eine solche Diskussion sollte unbedingt verhindert werden – oder wenigstens verzögert. Deshalb durfte keiner plaudern. Die Auszählung der Stimmen lief eine Woche lang streng abgeschirmt im Schöneberger Rathaus. Den Beteiligten wurde Redeverbot erteilt – und, wirklich ungewöhnlich im redseligen Berlin: Sie hielten sich daran. Das Ergebnis der Urabstimmung blieb bis gestern früh geheim. Bis Steffi Lemke vor die Presse trat. Nüchtern und sachlich teilte die Geschäftsführerin der Grünen mit: „Die Satzung unserer Partei ist mit dem heutigen Tag geändert.“

23 Jahre nach der Grünen-Gründung. Nach so vielen Versuchen. Nach endlosen Parteitagsschlachten, Rücktritten und gescheiterten Änderungsanträgen haben die Mitglieder entschieden: Grüne Abgeordnete dürfen künftig auch Parteichefs sein – und umgekehrt. Eine kleine Revolution von oben, abgesegnet durch die Basis. „Das Ergebnis schafft innerparteilichen Frieden“, war sich Lemke sicher – und könnte sogar Recht behalten. Mehr als die Hälfte der Mitglieder hat an der Urabstimmung teilgenommen. Exakt 66,89 Prozent stimmten für die Lockerung der Satzung. Damit sind die grünen Parteistrategen ihre Sorgen los: Die unverhoffte Zweidrittelmehrheit wird niemand ernsthaft in Frage stellen können. Auch die härtesten Anhänger der Trennung nicht, die mit Klagen gedroht hatten, falls nur eine knappe Mehrheit für die Aufhebung der Trennung stimmen würde.

Entsprechend begeistert äußerten sich die grünen Promis. „Die Debatte ist mit dieser Urabstimmung beendet“, glaubt Lemke. Für NRW-Bauminister Michael Vesper zeigt das Ergebnis, „dass unsere Parteibasis reformfreudiger ist, als manche dachten“. Nur für zwei prominente Grüne kommt die Reform zu spät: Für die ehemaligen Parteichefs Fritz Kuhn und Claudia Roth, denen der Parteitag im Dezember noch die nötige Zweidrittelmehrheit für die Satzungsänderung verwehrte. Beide waren damals enttäuscht zurückgetreten. Sie sind nur noch Bundestagsabgeordnete.

Nun könnten Kuhn und Roth theoretisch ins Parteiamt zurückkehren. Theoretisch. Praktisch ist ihr Platz besetzt – und weder Angelika Beer noch Reinhard Bütikofer macht bisher Anstalten, ihn wieder freizugeben. Die beiden Parteichefs sind für zwei Jahre gewählt – auch wenn sie anfangs nur als Notlösung betrachtet wurden. Vor allem Bütikofer hat sich überraschend schnell im neuen Amt etabliert, er ist in der Partei beliebt und wird inzwischen sogar von Kanzler Schröder ernst genommen, wie grüne Helfer nicht müde werden zu betonen.

Denkbar scheint höchstens Angelika Beers Rückzug. Bei ihr sei „das Feedback eher weniger positiv“, erzählt ein Grüner, der aber natürlich nicht offen über Beers Schwächen reden möchte. So wie das keiner tut. Gott bewahre. Das würde ja den „innerparteilichen Frieden“ stören, der doch gerade erst ausgerufen wurde. Geredet wird lediglich über Beers angebliche Ambitionen, ins Europaparlament zu gehen. Ob das stimmt, ist unklar – und seit gestern fast egal: Sie müsste dafür ja nicht mehr aufs Parteichefinnenamt verzichten.

Claudia Roth wiederum versucht alles, um nur ja nicht den Eindruck zu erwecken, sie spekuliere auf ein Comeback. Beer und Bütikofer machten „gute Arbeit“, sagte Roth gestern der taz. „Eine Personaldebatte stellt sich gar nicht.“ Es sei auch falsch, wenn jetzt geschrieben werde, die Grünen seien eine normale Partei geworden. „Wir bleiben anders als die anderen.“ Schließlich gelte die Trennung von Amt und Mandat auch künftig weiter – für Minister und Fraktionschefs. Und dabei soll es bleiben. Denken nicht alle, sagen aber alle. Zurzeit. Denn es herrscht ja Frieden im Grünen-Land.