Brennende Fackeln leuchten nach Berlin

Zeitgleich zur Einigung im Streit um den Emissionshandel demonstrieren auf der „Brücke der Solidarität“ zwischen Duisburg und Rheinhausen 2.500 Stahlarbeiter für ihre Arbeitsplätze. Buhmann ist Bundesumweltminister Trittin

DUISBURG taz ■ Gegen Ende seiner Rede dreht der Mann in Arbeitskluft und Schutzhelm noch einmal richtig auf: „Wer unsere Arbeitsplätze ins Ausland treibt, dem gehört eins auf die Mütze“, ruft Willi Segerath, Betriebsratsvorsitzender von ThyssenKrupp-Stahl in Duisburg, am Montagabend etwas heiser ins Mikrofon. Gemeint ist Bundesumweltminister Jürgen Trittin (Grüne). Bei den Kollegen kommt das an: „Berlin, Berlin, wir fahren nach Berlin“, skandiert das Publikum. Doch Duisburgs Stahlarbeiter werden nicht nach Berlin fahren, um Trittin „eins auf die Mütze“ zu geben: Der Umweltminister hat spät in der Nacht den Forderungen der Industrie beim Emissionshandel nachgegeben.

Um sieben Uhr weist auf der traditionsreichen „Brücke der Solidarität“, in den späten achtziger Jahren Schauplatz der großen Arbeitskämpfe um den Erhalt des Krupp-Stahlwerks Rheinhausen, noch nichts auf eine Wiederbelegung alter Traditionen hin. Der Rhein schimmert silbergrau im Sonnenschein. Knapp fünfzig Gewerkschafter der IG Metall stehen an der Brüstung. In zwei Stahlrohren haben sie Feuer angezündet – doch die wirken nicht bedrohlich. Eher erwartet man, dass die Demonstranten Koteletts und Würstchen auspacken und ein Grillfest veranstalten. Josef Pesch ist enttäuscht. Der grauhaarige Rentner ist einer der ersten, der sich auf der Rheinbrücke eingefunden hat. 37 Jahre hat er bei Krupp in Rheinhausen gearbeitet, jetzt ist er 71. „Damals haben wir die Brücke ruckzuck dichtgemacht“, erzählt er. Und heute? „Die Rheinhausener sind müde. Der Ort ist tot.“

Pesch scheint Recht zu haben. Dass Rheinhausen ein Arbeiterstadtteil ist, merkt man nur noch an den Häuserfassaden. Die sind grau, und der Putz blättert von ihnen ab. Aber die Arbeiter, die fehlen. „Wie, `ne Demo? Sperren die dann die Straße ab?“ fragt ein türkischer Jugendlicher den Busfahrer, der ihn von Rheinhausen nach Duisburg-Hochfeld bringen soll. Arbeitskampf? Emissionshandel? Davon scheinen die meisten Menschen hier nichts mitzubekommen.

Eineinhalb Stunden später hat sich das Bild gewandelt. Die untergehende Sonne färbt den Rhein rot, auf der Brücke leuchten die Fackeln von 2.500 Stahlarbeitern. Mit Reisebussen sind sie von den Betrieben hierher gekommen. Die meisten, das zeigt das Firmenlogo auf den Schutzhelmen, malochen bei ThyssenKrupp. Viele tragen Arbeitskleidung, viele Hände sind rußgeschwärzt. „Ihr kämpft nicht nur für Arbeitsplätze, ihr kämpft für die Stadt Duisburg“, ruft ihnen Duisburgs Oberbürgermeisterin Bärbel Zieling (SPD) zu. Applaus. „Wir sind nicht gegen Klimaschutz, aber alle müssen mitmachen. Auch die USA,“ sagt Berthold Huber, Vizechef der IG Metall. Beifall. Die Arbeiter verzeihen dem Schwaben sogar, dass er den Namen ihrer Stadt nicht richtig ausspricht. Er trennt das „U“ und das „I“ in Duisburg, sagt nicht Düsburg. Dann Betriebsrat Segerath und der Aufruf, nach Berlin zu fahren: Gejohle und Sprechchöre. Erinnerungen werden wach an 1988. Nostalgie, Arbeiterromantik.

Die wirkt auch auf das kleine Häufchen vor der Bühne, das sich mitten im beißendem Qual der Leuchtfackeln unter der Parteifahne zusammengefunden hat: Das Präsidium der NRW-SPD. Nur Parteichef Harald Schartau fehlt, der ist in Berlin. Trotzdem ist man bestens gelaunt. „Bundesministerium für Urwald“, witzelt Generalsekretär Michael Groschek, als sich ein Redner beim Wort „Umweltministerium“ verhaspelt. Warum Groschek nicht selbst auf der Bühne reden will? „Ist doch eine Gewerkschaftsveranstaltung.“ Zu heiß? „Wieso? Sind doch alles Genossen.“ Groschek grinst. Als er sich zu Fuß auf den Weg zum Wagen macht, im Slalom um brennende Fackelreste herum, bleibt er unerkannt. „War `ne gute Veranstaltung“, sagt er. SPD und IG Metall haben sich wieder lieb. KLAUS JANSEN