Zum Anfassen

Zwei Große des Jazz in Alsternähe: Charlie Mariano und Dieter Ilg spielen leibhaftig im Literaturhaus

Unverhoffte Begegnungen zählen zu den eigentümlichen Privilegien der Jazzfans. Kaum einem der bekannten Topstars in Klassik oder Pop würde es wohl einfallen, für 15 oder 10 Euro Eintritt vor vielleicht 200 ZuhörerInnen aufzutreten. Charlie Mariano dagegen, der kürzlich seinen 80. Geburtstag feierte, wurde einst in der Band von Charles Mingus bekannt. Heute Abend kommt er mit Bassist Dieter Ilg an die Alster – in der Reihe „Jazz im Literaturhaus“.

Das Interesse an der Musik jenseits des Mainstreams führte den amerikanischen Altsaxophonisten in den 60er Jahren nach Japan, Indien und schließlich Europa. Mit dem United Jazz + Rock Ensemble und in zahlreichen Projekten mit asiatischen und arabischen Musikern wurde er zu einem frühen Vater des Crossover.

Kulturelle Übergriffe blieben ihm jedoch fremd, sein lyrisch-emotionaler Sound war und ist die Quersumme aus Charlie Parker und John Coltrane. Der Weltmusiker Mariano demonstriert damit nicht die Überlegenheit des Jazz, sondern dessen univverselle Anwendbarkeit.

Dieter Ilg pflegt einen ähnlich pragmatischen Zugang zur Musik, internationales Ansehen erspielte er sich bei Michael und Randy Brecker. Zuhause im Süddeutschen dagegen nimmt er zuweilen deutsche Volksliedmelodien zur Basis seiner Alben. Der weit gereiste Ilg ist im Zweitberuf Gastro-Journalist und weiß genau: in der Musik wie beim Kochen kommt es auf Zutaten mit gesundem Eigengeschmack an. Und so gerät ihm die Begegnung von Jazz, außereuropäischer und deutscher Folklore nicht zum überwürzten Crossover-Brei, sondern zu einem aromatischen Menü.

Als Duo Sax with a Bass nutzen Mariano und Ilg alle Freiheiten der kleinsten Besetzung und bringen in feinen, melodiösen Improvisationen die Musik der Welt ins Literaturhaus. Ohne Netz und doppelten Boden, und vor allem: direkt zum Anfassen.

Tobias Richtsteig

Heute, 21 Uhr, Literaturhaus