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: Ausgehen ist Abschleppen: „Picking Up“, das anzügliche neue Album von Captain Comatose

Man hört hin und wieder von Zeitgenossen, die akribisch genau über ihre sexuellen Eroberungen Buch führen. Mit wem, wann, wo, wie groß, wie oft. Gerne auch mit Wertung auf einer Skala von null bis zehn. Dem Berliner Elektro-Duo Captain Comatose, bestehend aus den Herren Khan und Snax, scheint es mit dieser Form der Gedächtnis- und Potenzstütze langweilig geworden zu sein, deswegen haben sie sie kurzerhand weitergedacht und ins Musikalische übertragen, sprich: auf CD und Vinyl gepresst.

Ihr gerade erschienenes „Picking Up“ ist – auch wenn es manch einer natürlich profan als „Remix-Album“ bezeichnen würde – als Galerie ihrer musikalisch-sexuellen Eroberungen zu verstehen und stellt die logische Konsequenz von „Going Out“, ihrem Debütalbum aus dem letzten Jahr, dar.

Beim Ausgehen geht’s ums Abschleppen, klar, und Captain Comatose sind gerissene Rampensäue, denen es ein Leichtes ist, sogar gestandenen Heteros den Kopf zu verdrehen – mit ihren rockenden Maschinenbeats, ihrem Mut zu großen Gesten, dem quietschenden Falsett-Gesang und den zweifelhaften Hüftschwüngen. Zuletzt zu bestaunen in Romuald Karmakars „Die Nacht singt ihre Lieder“, in dem Snax und Khan einen Gastauftritt haben.

Für „Picking Up“ konnten die beiden eine durchaus prominente Schar (natürlich ausschließlich männlicher) Kollegen ins Bett und/oder zumindest ins Studio zerren. Zum Beispiel: Die jüngst von Poppern zu Ravern konvertierten Isländer GusGus, den Londoner Produzenten-Star Trevor Jackson alias Playgroup, die Münchner Munk (die Macher des gepriesenen Gomma-Labels), den Pariser Glam-Elektro-Rocker Electronicat oder den New Yorker Gitarrengott Kid Congo Powers, legendär durch sein Mitwirken in Bands wie The Cramps, The Gun Club oder Nick Caves Bad Seeds. Die Herren haben sich mal mehr, mal weniger Mühe gegeben. Wie das mit One-Night-Stands eben so ist: Manche bringen’s, die anderen hätte man sich sparen sollen.

Ganz oben auf der Skala: Munk mit ihrer einfühlsamen Version des penetranten Ohrwurms „$ 100“ und Electronicat mit seinem bratzigen Schaffel-Techno bei „Baby“, einer Iggy-Pop/David-Bowie-Coverversion. Die Haudruff-Dance-Mixe von Aaron Carl und Tok Tok gleichen hingegen eher Vergewaltigungen, und der Beitrag von DJ Divinyl, dem stolzen Gewinner des „Captain Comatose Worst Remix Contest“, soll und muss tatsächlich als Zumutung verstanden werden.

Aber wer würde sich bei einem so intimen Projekt wie „Picking Up“ ernsthaft über ein paar Abturner beschweren wollen? Schließlich verkaufen Khan und Snax ihr etwas anderes Sex-Tagebuch auch als Sonderangebot: Zum Preis einer EP bekommt der Kunde eine Full-Length-CD plus Vinyl-12-Inch. Oder andersrum: Die CD gibt’s umsonst obendrauf. „Extra prall, extra billig“: nicht nur eine mutige Produktidee, die in Zeiten der Musikindustriemisere einsam auf weiter Flur steht, sondern auch der Slogan, der die musikalischen Anzüglichkeiten von Khan und Snax auf den Punkt, man muss schon sagen: nagelt. JAN KEDVES

Captain Comatose „Picking Up“ (Playhouse/Neuton). www.captaincomatose.com