Alles in den Ofen?

Die Stadtreinigungsbetriebe sollen heute im Parlament Klartext reden, wer künftig einen Großteil des Berliner Mülls entsorgt – und vor allem wie. Bürgerinitiative fürchtet zweite Müllverbrennungsanlage

VON MARTIN KAUL

Endlich Schluss mit dem Gezeter: Jahrelang wurden in der Berliner Abfallpolitik wieder und wieder mögliche Lösungen verworfen. Heute erfahren die Mitglieder des Umwelt- und Wirtschaftsausschusses in geheimer Sitzung von den Berliner Stadtreinigungsbetrieben (BSR), wer ab 1. Juni 2005 gemeinsam mit der BSR einen Haufen Müll verwerten darf. Bei dem Geschäft mit dem Abfall geht es um Millionen, um ökologische Standards – und um die Frage, wie die Koalition ihr Versprechen loswird, in Berlin keine Müllverbrennungsanlage mehr zu bauen.

Standorte für einen Bau stehen in Berlin der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung zufolge durchaus zur Verfügung. Wo aber tatsächlich eine solche Anlage gebaut werden könnte, dazu will sich die Senatsverwaltung allerdings nicht äußern. Im offenen Ausschreibungsverfahren durften auch Müllverbrennungskonzepte angeboten werden.

Weil das wirtschaftlichste Angebot den Zuschlag erhält, befürchten Bürgerinitiativen, dass neben den technisch aufwendigen Möglichkeiten zum Beispiel einer Weiterverarbeitung des Mülls die Müllverbrennung wirtschaftlich schnell die Nase vorn haben könnte – und dass Berlin in naher Zukunft einen weiteren Brennofen neben dem bereits vorhandenen in Ruhleben hat. Das, so befürchtete schon vor Wochen das Müllinitiativforum Mi(e)f, könnte in Rummelsburg im Ostteil der Stadt passieren (die taz berichtete). Man habe Hinweise darauf, sagt Forumssprecher Thomas Kreutzer. Dabei hatten sich SPD und PDS in ihrem Koalitionsvertrag 2002 ausdrücklich auf „den Verzicht auf den Bau einer weiteren Müllverbrennungsanlage“ festgelegt.

Hintergrund ist, dass Berlin spätestens bis zum 1. Juni 2005 eine Lösung für sein Abfallproblem gefunden haben muss. Dann darf nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofes kein Müll mehr unbehandelt auf Deponien landen. Bislang landet ein großer Teil des Mülls noch schlicht auf der Halde. Die Verbrennungsanlage in Ruhleben schafft 520.000 Tonnen jährlich – bleiben etwa 460.000 Jahrestonnen prognostizierter Restmüll, die es nun zu vergeben gilt. Und da geht es neben Millionenumsätzen auch um die Frage, wer 2015 den Fuß in der Tür hat, wenn die Monopolstellung der BSR zur Disposition steht. Bis hin zu anonymen Verleumdungsschreiben und versuchter Einflussnahme auf Abgeordnete war bei dem Millionenpoker um den Müll alles dabei.

Den Zuschlag erteilt die BSR selbst. Im ersten Los vergibt sie knapp ein Viertel der Berliner Gesamtmüllmenge, 230.000 Jahrestonnen, an einen privaten Dienstleister, die anderen 230.000 Tonnen werden im Rahmen einer Public-Private-Partnership (PPP) entsorgt. Die spannende Frage ist das Wie. Dem Vernehmen nach haben von fünf Anbietern drei ein Müllverbrennungskonzept zugrunde gelegt.

Neben der „energetischen Verwertung“ in einer Müllverbrennungsanlage, bei der mit der Verbrennung Energie gewonnen wird, soll der BSR je ein Angebot zu einer mechanisch-physikalischen und einer mechanisch-biologischen Verwertungsmethode vorliegen. Hierbei werden erst nach Vorbehandlung des Mülls Ersatzbrennstoffe aus den Abfällen hergestellt, die dann zur Energiegewinnung weiterverwertet werden können. Ähnlich wie Briketts können diese Stoffe dann zum Beispiel in Kraftwerken landen.

Über die Berücksichtigung ökologischer Aspekte war bei der Ausschreibung ein Streit zwischen SPD, PDS und den Grünen entstanden. Die Grünen hatten einem Kompromiss im Parlament zugestimmt, der vorsah, nicht nur CO2-Emissionen, sondern auch weitere Schadstoffe deutlicher in der Ausschreibung zu berücksichtigen. Darüber hinaus sollte gewährleistet werden, dass keine zusätzliche Umweltbelastung durch überflüssigen Transport des Mülls entsteht. Beides findet Jochen Esser, finanzpolitischer Sprecher der Grünen im Abgeordnetenhaus, in der Ausschreibung nicht wieder. Außer vom CO2 sei in der Ausschreibung von keinen Emissionen mehr die Rede. Zudem bliebe es dabei, dass der Müll auch in Zukunft erst zum BSR-Standort Gradestraße gebracht werden müsse – völlig unabhängig davon, wo der Abfall letztlich lande. Das sichere zwar der BSR das Geschäft, sei ökologisch aber völlig unsinnig. Esser geht das zu weit. Er fühlt sich „und das gesamte Parlament vom Senat über den Tisch gezogen“. Der Lenkungsausschuss, der die von der BSR durchgeführte Ausschreibung begleiten sollte, habe den ausdrücklichen Beschluss des Parlamentes missachtet.

Auch Daniel Buchholz, umweltpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion, räumt ein: „Wir haben eine gewisse Enttäuschung und hätten uns die Umsetzung sicher anders vorgestellt.“ Er habe sich eine engere Anlehnung an die ökologischen Kriterien des Parlamentes gewünscht, beeilt sich aber zu betonen, dass die Abweichungen „legal“ seien. Seine Kollegin von der PDS, Delia Hinz, hofft noch, dass der Zuschlag, den sie heute präsentiert kriegt, nicht zugunsten einer Müllverbrennungsanlage ausfällt: „Ich weiß nicht, wie wir das sonst verkaufen wollen.“ Jetzt gehe es um „Schadensbegrenzung“.

Denn das Verfahren nun zu stoppen würde Berlin erhebliche Probleme beschaffen. In Anbetracht des nahenden Datums, Juni 2005, ist die größte Sorge der Verwaltung – und Grund großer Verschwiegenheit –, dass im Verfahren noch etwas dazwischenkommen kann. Das kann sich Berlin wahrlich nicht leisten: Nachdem bereits seit Jahren Lösungskonzepte wieder und wieder verworfen worden waren, wird es nun höchste Zeit. Dabei ist allen Beteiligten klar: In der Kürze der Zeit wird bis Juni 2005 ohnehin kaum eine Anlage in Berlin ihren Betrieb aufnehmen können – etwaiger Widerstand gegen eine Anlage noch ganz außen vor gelassen. Deponiert werden darf der Müll dann dennoch nicht mehr. Und so waren die Bieter gleich mit aufgefordert, auch eine Übergangslösung für die Müllentsorgung ab Juni 2005 zu präsentieren – sehr ökologisch wird auch die nicht sein können, wenn Berlins Müllmassen zur Verwertung erst mal wegkutschiert werden müssen. Und das bedeutet bei der EU-weiten Ausschreibung, dass – theoretisch – der Restmüll bis auf weiteres auch nach Portugal verschifft werden könnte.