Der Ungültig-Macher

Bevor die Große Koalition begann, trat Jörg Lochmon aus der SPD aus. Gestern hat er im Wahllokal seine ganz eigene Entscheidung getroffen

So können Polit-Karrieren enden: Mit 16 ist Jörg Lochmon in die SPD eingetreten. Mit 34 trat er wieder aus – weil SPD und CDU die große Koalition eingingen. Gestern – im Angesicht ihrer dritten Fortsetzung – ist Jörg Lochmon wählen gegangen. Und hat seine ganz eigene Wahl getroffen.

„Damals war mir klar, dass diese Regierung alles machen kann“, sagt der heute 42-Jährige. „Alles“ meint: alles Schlechte. „Klüngelei und Personenkult“ waren es nämlich, die Jörg Lochmon bei der SPD so genervt haben, dass er irgendwann seine Mitarbeit an der Findorffer Basis aufgegeben hat. Das Parteibuch behielt er erstmal. „Wie mit der Kirche“ habe es sich verhalten – er habe immer austreten wollen, es aber irgendwie nicht hingekriegt. Da musste sich 1995 erst die Große Koalition ankündigen, „bis ich die 400 Meter von meiner Wohnung ins Parteibüro geschafft habe.“

Was so schlimm sein sollte, damals, 1995, an dem Zusammenkommen von Rot und Schwarz – das hatte Jörg Lochmon mehr im Gespür, als dass er Konkretes wusste. „Wenn sich die zwei zusammentun, mit ihrem Filz, dann kann das für die Bevölkerung keine positiven Auswirkungen haben“, sagt er und setzt dann zögernd nach: „Ums positiv auszudrücken.“

Inzwischen sieht er sich bestätigt. Jörg Lochmon arbeitet am Schlachthof. Täglich hat er die Messehallen im Blick. „Die Halle 7 steht ständig leer. Wenn mal was los ist, dann sind das allenfalls Tagesveranstaltungen.“ Das Aufstocken der Stadthalle, so Lochmon über ein weiteres Investitionsprojekt, sei auch Quatsch: Bremen könne nun mal nicht in Konkurrenz zu Hamburg, Hannover und Berlin treten. Dafür sieht er, wie kleine Projekte ums Überleben kämpfen. Um zu ahnen, dass es so kommen würde, „musste man kein Hellseher sein.“

Dann wären da aber noch die Grünen – mit denen Lochmon ziemlich übereinstimmen müsste, was die Kritik an der Großen Koalition angeht. Die Grünen hätte er gestern doch wählen können. „Nee“, antwortet Lochmon. Den Grünen traue er auch nicht. Später sagt er: „Ich bin da auch gar nicht mehr so drin. Ich bin von der Gesamtpolitik ziemlich gefrustet.“ Viele seiner Bekannten, erzählt er, hätten gestern die Grünen gewählt, ein paar wenige SPD. „Die haben noch Hoffnung“, sagt er und lacht, aber das sieht nicht nach Freude aus, „die hab ich zwar auch – aber nicht, was Bremen angeht.“

Das Gerangel um die Agenda 2010 lässt den Ex-Genossen ziemlich kalt. „Ich bin darüber schon gar nicht mehr gefrustet. Mich bestätigt das eher in meiner Haltung.“

Einfach zu Hause bleiben ist aber auch nicht Lochmons Art. „Ich will nicht einfach wegbleiben.“ Also ist er ins Wahllokal gegangen. Hat sich den Stimmzettel aushändigen lassen und ist in die Kabine gegangen. Und hat ein fettes Kreuz über das ganze Blatt gezogen, über SPD und CDU, über Grüne, FDP, PDS und alle anderen Parteien und Wählervereinigungen, die Bremen eine bessere Zukunft versprechen.

Damit wird seine Stimme als ungültig gezählt – aber immerhin gezählt. Für Jörg Lochmon ist es seine ganz eigene Art des Protests: „Es ist das einzige, was ich machen kann.“ Susanne Gieffers