Abschied eines Zeitreisenden

Mit 95 Jahren ist die BBC-Stimme Alistair Cooke verstummt. Er war einer der größten Rundfunkjournalisten aller Zeiten

58 Jahre lang belieferte Alistair Cooke, Sohn eines methodistischen Priesters aus Salford bei Manchester, die weltweiten Hörer des britischen Radiosenders Radio BBC mit Kommentaren zum politischen und kulturellen Geschehen in den USA. Keine andere Serie in der Rundfunkgeschichte ist so lange und ausdauernd gelaufen wie Cookes „Letters from America“. Von 1946 an verfolgte er als integrer Begleiter des amerikanischen Jahrhunderts die US-Nachkriegsgeschichte in toto. Am 2. März 2004 zog er sich, mit 95 Jahren, erstmals und endgültig zurück – und erlag in der Nacht zum Dienstag in seinem Haus in New York einem Herzleiden.

Mit seiner hohen, leicht brüchigen Stimme begleitete Cooke Themen wie Korea, Kennedy, Vietnam, Watergate, Nixons Rücktritt und Clintons Skandale. Manchen Ereignissen wohnte er auch persönlich bei, obwohl er lieber darauf verzichtet hätte: Als 1968 Robert Kennedy erschossen wurde, stand Cooke nur wenige Meter entfernt.

Die meisten Briten hielten ihn für einen Amerikaner, die Amerikaner für einen typischen Briten. Tatsächlich nahm Cooke, der als Stipendiat in Cambridge und Harvard studiert hatte, nach dem japanischen Angriff auf Pearl Harbour 1941 die US-Staatsbürgerschaft an.

Neben seiner Arbeit für das Radio engagierte sich Cooke auch in anderen Medien. So schrieb er von 1945 bis 1972 Kolumnen für den Guardian und moderierte in den Siebzigerjahren eine Talkshow in den USA. Dass er dem Fernsehen zeitlebens ein tiefes Misstrauen entgegenbrachte, schützte ihn nicht vor dem Lorbeer zweier Emmy Awards. 1973 wurde er von der Königin zum Ehrenritter geschlagen und im Jahr darauf – eine noch größere Ehre – vom US-Kongress eingeladen, anlässlich dessen 200. Geburtstages eine Rede zu halten. Dabei erklärte er dem anwesenden politischen Establishment in entwaffnender Offenheit, dass er schrecklich nervös und nur zu einem einzigen Satz fähig sei. Und dann sagte er feierlich: „Dankbar nehme ich meine Ernennung zum Präsidenten der Vereinigten Staaten an.“

Politik, Literatur, Hollywood, Jazz, Theater, Sport – bei seiner Arbeit kam dem passionierten Golfspieler zugute, dass es kaum ein Thema gab, in dem er nicht bewandert gewesen wäre. „Ich fühle mich in beiden Ländern“ zu Hause, sagte er einmal. Und repräsentierte vielleicht deshalb wie kein Zweiter die transatlantische, aber immer kritische Freundschaft zwischen England und den USA. „In Amerika“, sagte er einmal, „wetteifern Dekadenz mit Vitalität.“

Zuletzt war nicht mehr zu überhören, dass sein Witz mehr und mehr einer leisen Resignation wegen der Irakpolitik von George W. Bush und Tony Blair gewichen war. Der britische Premier blieb gleichwohl „ein Fan“ des „vielleicht größten Rundfunkjournalisten aller Zeiten“.

Länger als ein halbes Jahrhundert hat er Geschichten aus der Geschichte erzählt. Nun ist er in sie eingegangen. FRA