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: Eine fade Fußballsaison wird endlich ad acta gepackt

Ich möchte nicht darüber reden

Als der FC St. Pauli sich auf die Drittklassigkeit vorbereitete, stellte die Vereinsführung als erste Maßnahme die erfreuliche Zeitschrift 1/4 nach 5 ein. Auf der Abschiedsparty der Redakteure am 9. Mai sah ich zum ersten Mal die T-Shirts, mit denen St.-Pauli-Fans auf die Rutschpartie ihres Clubs reagierten: „Ich möchte nicht darüber reden“, so steht es weiß auf trauerschwarz. Wenn sie in St. Pauli alles so gut könnten wie Hemden machen, der Verein spielte in der Champions League.

15 Tage später hätte ich gern so ein Hemd gehabt. Ich saß im Garten des Impresarios Edelmann vor meinem kleinen Weltempfänger und hörte die letzte Konferenzschaltung der Saison. Aus Mönchengladbach kreischte Sabine Töpperwien, aus Bielefeld säuselte Manni Breuckmann den erwarteten sechsten Abstieg der Arminia herunter, aus Dortmund kam die Nachricht vom 1:1 gegen Energie Cottbus. Es war das angemessene Ende einer in weiten Teilen peinigenden Fußballsaison. Dortmund spielen zu sehen, löste in diesem Jahr ähnliche Angstbedrückung aus wie eine Matheklausur. So gesehen ging es noch glimpflich aus.

Das Radio verstummte, in der ARD begann das Frettchen Waldemar Hartmann sein Tagwerk und sagte „Hallo Olli“, denn das ist Waldemar Hartmanns Arbeit: Olli und Svenni sagen und der Waldi sein. Später sah man Mario Basler, Klaus Reitmaier und Stefan Effenberg in Katar und hörte: „Typen wie sie sind vom Aussterben bedroht.“ Dass Christian Brückners schöne, wenn auch etwas inflationär zum öffentlichen Einsatz gebrachte Robert-De-Niro-Stimme einmal Hitlers treuestem Leser Effenberg nachtrauern würde, wer hätte es gedacht. Freuen durfte sich nur Ralf Sotscheck. Der aus Berlin stammende Ire hat sich in einer seiner treffendsten Wahrheit-Kolumnen selbst als „Wurst-Ralle“ beschrieben. Bei seinem letzten Besuch in Berlin bestätigte er dieses Urteil auf erschreckende Weise. „Ick war Hertha-Frosch der ersten Stunde!“, bekannte Sotscheck gleich mehrfach; stumm und besorgt sahen seine Freunde einander an, während er sich weiter Richtung Abgrund redete: „Issen klasse Verein. Is doch wahr! Nich so jlatt, korrupt halt –’n sympathischer Verein, wie’t Leben eben.“ Diesen Selbstbezichtigungen ließ er feuchtäugig die Geschichte folgen, wie er als kleiner Junge mit einer von seiner Mutter eigenhändig genähten Fahne aufs Spielfeld gelaufen und dabei sogar im Fernsehn zu sehen gewesen war. Rührend, sicher – aber ist das wirklich ein Grund, zu behaupten, Hertha BSC sei „wie Juventus Turin“? Beeindruckend schlicht war Sotschecks Begründung: „Die ham ooch so schöne jestreifte Hemden.“

Als er fast unter Tränen noch erzählte, dass er leider ein Gewinnspiel der BZ verschlafen habe, bei dem der zweite, vierte, sechste, achte und zehnte Anrufer ein Hertha-Handy gewinnen konnte, ergriffen seine Freunde Maßnahmen: Wurst-Ralle kam ins Antiregressionsprogramm – und dann nach Hause, nach Irland. In der nächsten Saison, wenn Hertha BSC wie auch der Hollerbach-Schläger-Verein HSV im Uefa-Cup spielt, wird Sotscheck ein Wunder erleben: Zwei Kloppsportvereine treffen bereits in der ersten Runde aufeinander und werfen sich gegenseitig aus dem Wettbewerb. Anschließend werden beide als geheilt entlassen – Wurst-Ralle, und der Fußball auch.

WIGLAF DROSTE