Selbst die Gehirne schlottern

Leverkusen gewinnt in Nürnberg mit 1:0 und verbleibt doch noch in Liga eins. Dazu bedarf es noch nicht einmal der Schiebung. Dennoch will sich selbst Manager Calmund hinterfragen

aus Nürnberg TOBIAS SCHÄCHTER

Der leichenblasse Ritter des Humors der Wiesdorfer Rheinkadetten machte sich auf den Weg, 30, 40 Fotografen und Kameramänner vor sich hertreibend. „Rainer Calmund – du bist der beste Mann“, schallte es aus dem Fanblock des Werksklubs. Sie wollten ihn sehen, den „Calli“, jetzt, wo alles vorbei war und sie doch noch den Verbleib in Liga eins feiern durften. Aber Calmund, von Grippe und Abstiegsangst gebeutelt, schaffte es nicht an den Zaun. Er kam einfach nicht an dieser Mauer aus gierig knipsenden Menschen vorbei. Calli blieb stehen. Die Leverkusener Fans pfiffen. Dann brannten dem Nürnberger Ordnungsdienst die Sicherungen durch: Fäuste flogen, Kameras klatschten auf den Boden. Das Chaos kehrte plötzlich zurück.

Die Szene steht wie ein Sinnbild für diese Saison von Bayer Leverkusen, in der dem Champions-League-Finalisten des Vorjahres so ziemlich alles misslang. Jetzt lief sogar das Jubeln über den Klassenerhalt nicht unfallfrei ab. Immerhin: Sie haben 1:0 gewonnen in Nürnberg. Durch ein Tor von Bastürk. Es war ein grausames Gerumpel. Beide Mannschaften spielten so, wie ihr Tabellenplatz es vermuten ließ. Wofür Geschäftsführer Calmund „Riesenverständnis“ aufbrachte: „Als wir 1996 gegen Kaiserslautern so ein Endspiel hatten, da schlotterten selbst einem Rudi Völler die Knie.“

Es schlotterte nicht nur in den Knien, sondern auch in den Gehirnen. Das Spiel stand schließlich unter dem Verdacht der Schiebung, seit der kleine Präsident des 1. FC Nürnberg, Michael Adolf Roth, zu Wochenbeginn mal locker davon gesprochen hatte, dass ihm ein Bundesliga-Verbleib Leverkusens lieber wäre, weil dann ein Konkurrent um den Wiederaufstieg für seine längst abgestiegenen Cluberer im Unterhaus fehlen würde. Prompt legte Bielefelds Torhüter Hain nach und wollte ganz genau wissen, dass beim Wechsel von Klaus Augenthaler von Nürnberg nach Leverkusen vor zwei Wochen auf Vorstandsebene das Spiel „verschoben“ worden sei. Die Branche geriet in Aufruhr – es war ein Sturm im Wasserglas.

„Ich weiß nicht, ob Bielefeld mehr geackert hat als wir“, sagte Nürnbergs Trainer Wolfgang Wolf denn auch stolz. Nürnberg hat gegen Leverkusen zumindest alles gegeben, auch wenn es nicht viel war. Feiern wollten die Club-Fans ihr Team dafür jedenfalls nicht. „Wir sin de Club“, schallte es der Mannschaft entgegen, als diese der Nordkurve des Frankenstadions nahe kam. Betröppelt trollte sich die Mannschaft, die so nicht zusammenbleiben wird, von dannen. Bis zum 11. Juni muss der Club vier Millionen Euro aufbringen, um die Zweitliga-Lizenz zu erhalten; die Spieler Kampa, Jarolim und Kryznowek werden gehen. Bleiben wird hingegen Trainer Wolf, in dessen Revier künftig „viele junge Spieler die Zukunft“ sein werden. Und natürlich Club-Napoleon Michael A. Roth, der kräftig nachtrat: „Wir sind expertisch abgestiegen. Ich habe den Experten Augenthaler und Geenen vertraut. Das Ergebnis ist das reine Chaos.“

Der so gescholtene Augenthaler wurde derweil auf der anderen Seite des Stadions als Retter gefeiert – nach zwei Siegen in zwei Spielen mit Bayer: „Das ist schizophren. Vor einem Jahr stand ich noch in der anderen Ecke“, sagte Auge dazu. Ist zwar erst vier Wochen her, aber so ein doppelter Abstiegskampf und ein Déjà-vu-Erlebnis gehen halt selbst an einem Eisklotz wie Augenthaler nicht spurlos vorüber. Auf die Frage, was er bei seiner Rückkehr an die alte Wirkungsstätte gefühlt habe, antwortete er trotzdem: „Nichts!“ Das sind noch Männer. Mit denen kann man diesen Trümmerhaufen von Mannschaft bestimmt wieder aufbauen.

„Ab Dienstag“, so Bayer-Manager Ilja Kaenzig, „wird geplant für die neue Saison. Mit Augenthaler und allen sportlichen Verantwortlichen. Die haben Urlaubsverbot.“ Klar ist, dass der Bayer-Kader reduziert wird. Bastürk soll verkauft werden; Hertzsch vom HSV ist schon verpflichtet. Derweil war es für Rainer Calmund „die schlimmste Saison meiner Laufbahn“. Calli winkte kurz in die Kurve und hoppelte davon. Er sah fertig aus, der große Pate, der Zampano. Und er sagte: „Auch ich muss mich hinterfragen.“

1. FC Nürnberg: Kampa - Kügler, Wolf, Stehle (27. Reinhardt), Popovic - Frey (74. Junior), Jarolim, Müller, Krzynowek - Ciric (46. Driller), CacauBayer Leverkusen: Butt - Zivkovic, Lucio, Juan, Placente - Bierofka, Ramelow, Bastürk (90. Vranjes), Babic (81. Balitsch) - Neuville, Berbatow (77. Franca)Zuschauer: 31.182; Tor: 0:1 Bastürk (36.)