„Wir hatten es mit einem Generalangriff zu tun“

Der Grünen-Vorsitzende Reinhard Bütikofer über den Emissionsstreit, das Klima in der Koalition und den Wind, der sich gedreht hat

taz: Herr Bütikofer, die Industrie freut sich über die Lösung im Emissionsstreit, SPD-Minister Clement ist zufrieden. Wie geht es dem Grünen-Chef?

Reinhard Bütikofer: Wir wollten mehr erreichen für den Klimaschutz. Deswegen gehen wir nicht als Sieger aus diesem Konflikt. Aber auch nicht als Besiegte. Denn den Ausstieg aus dem Klimaschutz haben wir abgewehrt.

Aber können Sie denn wirklich noch von einem Kompromiss sprechen? Ihr Umweltminister Jürgen Trittin wollte 488 Millionen Tonnen CO 2 -Emissionen erlauben, Clement 505, nun ist man bei 503 gelandet.

Clement hat nach dem ersten Kompromissversuch, als man bei 499 Millionen war, Zusatzforderungen draufgesattelt, die zu einem Ausstoß von über 520 Millionen Tonnen geführt hätten. Damit hatten wir es zu tun, das haben wir verhindert. Wir haben das Prinzip durchgesetzt, dass die Wirtschaft einen Beitrag leisten muss, um das Kioto-Ziel zu erreichen. Wir sind das einzige Land, das der Wirtschaft abverlangt, schon in den nächsten Jahren die Emissionen zu reduzieren – um 2 Prozent im Schnitt –, und das schon ein Ziel für 2012 aufschreibt. Von den 17 Millionen Tonnen CO2, die wir bis dahin einzusparen haben, muss die Wirtschaft 10 erbringen.

Greenpeace und WWF sprechen von einer Kapitulation. Mit grüner Politik habe das Ergebnis nichts mehr zu tun.

Diese Kritik von Umweltverbänden muss wahrscheinlich sein, um deutlich zu machen, dass es ein gesellschaftliches Interesse gibt, das mehr Fortschritt will. Natürlich sind da einige zu Recht enttäuscht. Aber wer von Kapitulation spricht, schätzt die Ausgangslage, die Kampfbedingungen und das Ergebnis falsch ein. Wir hatten es mit einem groß angelegten Generalangriff zu tun.

Was meinen Sie damit?

Es gab eine konzertierte Aktion, nicht nur gegen den Klimaschutz, sondern gegen die erneuerbaren Energien als Ganzes, auch die Ökosteuer – und überhaupt den Gedanken, dass Ökologie wirtschaftlich Sinn macht. Daran haben sich erstaunlich viele beteiligt: wesentliche Teile der SPD, insbesondere aus Nordrhein-Westfalen, einige aus den Gewerkschaften und die Industrie, aber auch mächtige publizistische Bataillone. Es hat sich gezeigt, wenn’s wirklich hart auf hart kommt, sind es doch nur die Grünen, auf die man sich beim Klimaschutz verlassen kann.

Ihr Konzept der ökologischen Modernisierung scheint aus der Mode.

Richtig ist, dass sich der Wind gedreht hat. Es gibt den Druck verführerischer Verheißungen, nach dem Motto Helmut Schmidts: Der Wirtschaft geht’s gut, wenn wir nicht an die Umwelt denken. Das ist so falsch wie abgestanden und trotzdem wird es wieder aus der Mottenkiste geholt – also muss man es erneut widerlegen. Dass dies nötig ist, konnte man ja letztes Jahr schon sehen, bei der Koalitionskrise in NRW.

Gibt es die jetzt im Bund?

Nein, das Klima in der Koalition ist zwar etwas rauer geworden. Aber man kann nicht sagen, es gibt einen Konflikt SPD gegen Grüne. Es gibt einen Teil der SPD, der sich von bereits verabredeten Zielen entfernt. Dieser Teil wird weiterkämpfen. Aber wir auch – und wir haben die besseren Argumente.

Welche denn?

Zum Beispiel dieses: Man schreibt mit ökologischer Politik schwarze Zahlen. Es gibt im Bereich regenerativer Energien mehr Arbeitsplätze als in den Bereichen Kohle und Atomkraft zusammen.

Hätten die Grünen in den Verhandlungen härter auftreten und mit dem Ende der Koalition drohen müssen?

Ohne unser massives Auftreten hätte es den Kompromiss nicht gegeben. Wir haben gekämpft und das Erreichbare erreicht. Keine andere Regierungskoalition hätte mehr für den Klimaschutz getan. INTERVIEW: LUKAS WALLRAFF

Fotohinweis: REINHARD BÜTIKOFER, 51, ist seit 2002 Bundesvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen.