Hormone sollen schuld sein

Der Prozess um den so genannten Ehrenmord an Morsal O. hat in Hamburg begonnen. Der Verteidiger hält seinen Mandanten für „eingeschränkt schuldfähig“ und stellt einen Befangenheitsantrag gegen einen psychiatrischen Gutachter

VON KAI VON APPEN

Draußen gab es eine Gedenkminute und weiße Rosen. Drinnen, im Hochsicherheitssaal 237 des Hamburger Landgerichts, wurde die Anklage verlesen sowie ein Befangenheitsantrag gegen den psychiatrischen Gutachter gestellt. So begann am Dienstag das Verfahren um den so genannten Ehrenmord an Morsal O. Die 16-jährige Deutsch-Afghanin war am 15. Mai von ihrem 24-jährigen Bruder Ahmad Sobair O. getötet worden, weil der ihren westlichen Lebensstil missbilligte. Ahmad O. macht vor Gericht keine Angaben: „Mein Mandant hat das Tatgeschehen einer Gutachterin gestanden und geschildert“, sagt Verteidiger Thomas Bliwier. „Es reicht, wenn das eingeführt wird.“

Staatsanwalt Boris Bochnik wirft Ahmad O. „Heimtücke“ und „niedere Beweggründe“ vor und plädiert damit auf Mord. Ahmad soll Morsal, die Zuflucht vor ihrem Familien-Clan im Mädchenasyl gefunden hatte, an jenem Abend über einen Cousin „gezielt“ zum S-Bahnhof Berliner Tor gelockt haben, wo angeblich eine Aussprache mit seiner Schwester über ihre „oft unangemessene Bekleidung“ stattfinden sollte, die nicht zu den Werten der Familie passe. Als Morsal O. in Jeans-Shorts erschien, soll er den Teenager provokativ gefragt haben, ob sie Prostituierte sei. Als sie antwortete: „Das geht dich einen Scheißdreck an“, habe er ohne Vorwarnung auf seine kleine Schwester eingestochen.

Morsal konnte noch einige Meter flüchten, dann hat O. laut Anklage auf die am Boden Liegende weiter eingestochen – insgesamt 23-mal.

Vor dem Verfahren ist die Anklage um zwei Fälle von Körperverletzung erweitert worden. Ahmad O., so der Vorwurf, habe im November 2006 mit einer anderen Schwester im Beisein der Mutter Morsal geschlagen. Im Januar 2007 habe er sie erneut verprügelt und mit dem Messer bedroht. „Sie konnte sich in der Toilette einschließen“, sagt Bochnik. Ein anderes Mal habe Ahmad geäußert: „Ich werde sie töten.“

Während der Angeklagte die Ausführungen des Staatsanwalts mit gesenktem Kopf über sich ergehen ließ, machte sein Verteidiger geltend, Ahmad sei nur „eingeschränkt schuldfähig.“ Dabei stützt sich Bliwier auf ein zweites psychiatrisches Gutachten. „Es kommt selten vor, dass ein Schwurgericht es selbst für nötig hält, ein weiteres Gutachten einzuholen“, sagte der Anwalt. Das zweite Gutachten gehe davon aus, dass Ahmad wegen seiner Kleinwüchsigkeit als Kind traumatisiert worden sei. Infolge der Nebenwirkungen einer Wachstums-Hormonbehandlung könne er keinen Widerspruch dulden und neige zu spontanen, nicht steuerbaren Gewaltausbrüchen.

In der Tat weist Ahmads Vorstrafenregister zwei Verurteilungen wegen gefährlicher Körperverletzung auf. Einmal hatte er Ende 2006 im Streit einen Kontrahenten eine Flasche auf dem Kopf zerschlagen. Danach, im März 2007, hatte er ohne Vorwarnung einem Mann mit einem Messer hinterrücks in die Schulter gestochen. Schon damals sei es laut Gericht, „um Fragen der Ehre gegangen“.

Das erste Gutachten, das die Staatsanwaltschaft in Auftrag gegeben hatte, bezeichnete Bliwier als „unprofessionell“. Er hat einen Befangenheitsantrag gegen den Psychiater gestellt. „Er hat eine aggressive und feindselige Haltung gegen meinen Mandanten“, sagte Bliwier. Der Gutachter habe O.s Angaben zur Tat „als naiven Versuch, eine Rauschtat vorzutäuschen“ und als „verfahrenstaktische Schutzbehauptung“ bezeichnet. „Der soziokulturelle Hintergrund ist gar nicht beleuchtet worden“, so Bliwiers Vorwurf.

„Es darf keinen Bonus für Verbrechen in Namen der Ehre geben“, sagte die Soziologin Necla Kelek auf der Tauerkundgebung vor dem Gerichtsgebäude. Während sie Väter und Brüder alle Freiheiten nehmen würden, sollten die Frauen zu Hause bleiben. „Morsal musste sterben, da sie dieses System nicht akzeptiert hat“, sagte Kelek.

Nazanim Borumand, Sprecherin der Kampagne gegen Ehrenmorde, sagte, es gebe „immer noch Religionen und Kulturen, in denen Frauen keinen Schutz haben“. Dort sei der Clan „eine eine Art Volksgericht“: „Da braucht der Sohn keinen Auftrag vom Vater. Er handelt, um das System Vaterstaat zu verteidigen. Ahmad sei kein „Durchgeknallter“. „Das war ein Ehrenmord und ich erwarte eine gerechte Strafe.“