berliner szenen Noch ein lautes Konzert

Ohrenmenstruation

Zugegeben, ich bin etwas paranoid. Oder hypochondrisch. Oder beides. Jedenfalls besuche ich Konzerte ab einer bestimmten Lautstärke nur noch mit Ohrstöpseln. Ich habe meine Gründe. Nach dem Auftritt einer japanischen Krachband konnte ich mein eigenes Pfeifen tagelang wie durch einen Gitarrenverstärker verzerrt hören. Das war eine interessante Erfahrung, richtig glücklich gemacht hat sie mich aber nicht. Also besser kein Tinnitus, selbst wenn der Klang durch die Schaumstoffschicht ziemlich dumpf bei einem ankommt.

Heute ist ein Konzert von CLP. Und es verspricht laut zu werden. Kurz bevor es losgeht, merke ich, dass ich meine Stöpsel vergessen habe. Ich bin jedoch unter keinen Umständen bereit, meinen Gehörsinn einer unbekannten Anzahl aggressiver Frequenzen auszuliefern. Ersatz muss her, ganz schnell. Da die Apotheken um diese Zeit geschlossen haben, versuche ich mein Glück in einem Kiosk. Der Verkäufer guckt überrascht, in etwa so, als sei ich nicht ganz richtig im Kopf. Ich weise ihn auf die Zahnbürsten hin, die neben seiner Kasse hängen, nicht ohne anzumerken, dass ich mir die jedoch keinesfalls in meine Ohren stecken würde. Darauf greift er unter den Tresen, um mit den Worten „Das soll jetzt aber keine Verarschung sein“ eine geöffnete Schachtel Tampons hervorzuholen. Jetzt blickt er triumphierend, sein Einfall scheint ihm die rettende Lösung. Ich bin so überrascht, dass ich kurz über das Ausdehnungsverhalten eines o.b. im Ohr nachdenke. Doch dann kehrt meine Geistesgegenwart zurück, und sehr schnell fallen mir meine mitgebrachten Papiertaschentücher ein. Ich verabschiede mich freundlich. An der Abendkasse gibt es Gratis-Ohropax.

TIM CASPAR BOEHME