Gequetschte Massen

Die Einstürzenden Neubauten müssen ihr Brot wieder auf der Bühne verdienen. Am liebsten in überfüllten Hallen

Gefährliches Grummeln im Publikum. „So eine Scheiße“ ruft jemand. „Ich kann überhaupt nichts sehen“. Fans unter 1,70 Meter Größe hätten den Musiktempel 3001 am Düsseldorfer Hafen lieber meiden sollen.

Dann kommen die Einstürzenden Neubauten auf die Bühne, hantieren mit Kunststoffröhren und Druckluftflaschen, Zampano Blixa Bargeld erzählt dazu die passende Atü-Anekdote. Perpeduum Mobile. Der erste Song ist auch der Titel des neuesten Albums. Er passt zur Band, die fast ein viertel Jahrhundert unterwegs ist, melodische, industrielle Klänge in die Ohren der ambitionierten Fans zu hämmern.

Der Unmut in Düsseldorf nahm mit dem ersten Donnerschlag von Unruh und seinen Schlagkohorten etwas ab. Die Fans arrangierten sich mit Bier und dem Schweiß vom Nebenmann. 200 Menschen weniger und es hätte ein tolles Konzert in der Betonhalle mit VIP-Balkon werden können. Nur müde lächeln konnten alle, als Campino und der Düsseldorfer Hosenrest dort die Vorhänge wegzog, um bequem im Sitzen und mit einem Fläschchen Alt der Konkurrenz aus Berlin zuzusehen. Um sie herum viele Miß-Wichtig-Hasen, die noch nicht geboren waren, als ein von Soldaten ummauerter Wasserturm zum Resonanzkörper mutierte.

„Einheit“ brüllte gerade ein Fan, der wohl ziemlich lange auf seine Karten gewartet hatte. Einheit beschwor dann auch Blixa zwischen zwei Nummern und erzählte von den finanziellen Problemen der Band. Mut hatte die letzte Platte möglich gemacht, Mute in London hatte sie produziert. Immer noch führt die Band Prozesse wegen ausstehender Tantiemen, will deshalb sogar einen bösen Bann beim Londoner Konzert austrommeln.

Den haben sie auf einer goldenen Alufolie in Düsseldorf noch schnell geprobt und das schien auch nötig zu sein. Um überleben zu können, pressen die Neubauten jetzt jedes Livekonzert simultan auf eine Doppel-CD und verkaufen sie nach der Zugabe. Blixa stellte dafür große Gewinnchancen bei Ebay in Aussicht. Der Kapitalismus ist bei der Avantgarde endgültig angekommen. Zum Schluss gabs auch noch etwas Architekturkritik für die Landeshauptstadt. „Alles sähe hier so aus wie von Frank Gehry für Arme“, sagte Blixa nach seinem ersten Besuch in den Düsseldorfer Neubauten. Strategien dagegen gab er aber nicht preis. PETER ORTMANN