DIETER BAUMANN über LAUFEN
: „Endlich laufen wir ihn aus den Schuhen“

Im Trainingslager in Flagstaff will man Dieter Baumann abhängen. Bei Tempoläufen mag das gelingen – danach nicht

Flagstaff, Arizona. Die Frühlingssonne ist ungewöhnlich heiß. Der wenige Schnee vom Winter hat sich weit in die Berge verzogen. Nur noch die San Francisco Peaks heben sich mit ihren weißen Bergspitzen vom strahlend blauen Himmel ab.

Wir sitzen im einzigen Café dieses verschlafenen „Wildwest Dorfes“, in dem es vernünftigen Kaffee gibt. Es befindet sich in einer Seitenstraße der berühmten Route 66 in Old Town und nur einen Steinwurf entfernt von der nicht minder berühmten Santa-Fe-Express-Bahnlinie. Sieben Dieselloks ziehen eine lange Reihe von Güterwagons durch die tatsächlich endlose Prärie. Mit staunendem Blick verfolgen wir von unserem sonnigen Platz den nicht enden wollenden Zug, nippen am „double-cappuccino“ und genießen den Kuchen.

Der Kaffeehausbesuch war in der vergangenen Woche und hat damit zu tun, dass im Trainingslager der deutschen Langstreckenläufer Tempoläufe anstanden. Keine Sorge, nicht mehr für mich. Oder besser gesagt, doch, natürlich auch für mich. Zumindest versuchte ich es.

Meine ehemaligen Läuferkollegen hatten mich nicht lange fragen müssen, ob ich einige Tage mit in die USA reisen würde. Ich sollte ihnen als Kanonenfutter dienen. So als ob sie die ganzen offenen Rechnungen von vielen Trainingslagern und unzähligen Tempoeinheiten begleichen wollten. „Endlich laufen wir den Baumann aus den Schuhen“, hieß das Motto von Flagstaff.

Mir sind in den letzten 18 Jahren allerlei Läufer in aller Herren Länder im Training begegnet. Jedes Mal war es ein neuerliches Messen, Reiben und Wetteifern. Wer ist der Schnellste, der Ausdauerndste, der Beste? Meistens war ich bei diesen internen Rennen vorne dabei. Nun also, nach all den bestandenen Prüfungen in den Trainingslagern, nahmen sie Rache, stellvertretend für die vielen Ehemaligen.

Szenenwechsel. Eine ganz andere Stadt: Tübingen. Eine ganz anderen Trainingsgruppe: das Focus-Lauf-Team oder „Baumanns Krabbelgruppe“, wie sie sich selbst nennen. In wenigen Wochen wollten sie im Auftrag des Wochenmagazins laufen lernen. 50 Minuten am Stück. Kein Problem, natürlich.

Beim letzten gemeinsamen Dauerlauf, einen Tag vor Abflug nach Flagstaff, wollten sie ihren „Coach“ einmal richtig laufen sehen. „Zeig uns doch einmal dein normales Tempo“, hieß es.

„Welches normale Tempo?“, fragte ich.

„Das Tempo bei einem Wettkampf, bei Tempoläufen oder bei einem Dauerlauf.“

Gott sei Dank einigten wir uns „nur“ auf das Dauerlauftempo, und ganz nebenbei blieb es nicht nur bei einer reinen Demonstration, sondern es sollten alle ins Schwitzen kommen. In den Kreisen der Freizeitläufer nennt man mich schließlich nicht umsonst den „Schleifer“. Nachdem die Streckenlänge festgelegt war – nur wenige hundert Meter! – liefen wir los. Langsam zunächst, um dann das Tempo zu steigern. Alle hielten mit. Einer fragte: „Und wie lange läufst du dieses Tempo?“

„Zwei Stunden, wenn es sein muss“, gab ich mit leichtem Understatement zurück, schließlich ist mir jede Eitelkeit fern und Bewunderung peinlich. Auf alle Fälle wirkt so eine Leistungsdemonstration immer, denn schließlich wollen die Mädels und Jungs in jeder Laufeinheit motiviert sein und bleiben. Genau darin sehe ich meine Aufgabe.

Szenenwechsel. Flagstaff. An dieser Stelle möchte ich großherzig über die niederen Beweggründe – mich doch endlich mal im Training von der Platte zu putzen – meiner ehemaligen Kollegen hinwegsehen und meine Anwesenheit dort, positiv ausgedrückt, als zusätzliche Motivation für die Jungs verstehen. Im Gegensatz zur Focus-Truppe geht es in Flagstaff darum, mich vom Sockel zu stürzen. Im Training mag das gelingen, aber in der Freizeitgestaltung zahlt sich meine jahrzehntelange Erfahrung noch aus. Nach der ersten Tempoeinheit steht in Flagstaff traditionell ein Besuch bei Macy’s European Coffeehouse an. Den anderen war das völlig unbekannt. Wenigstens da laufe ich noch voraus. Es muss ja nicht immer Las Vegas sein.

Fragen zu Flagstaff? kolumne@taz.de Morgen: Philipp Mausshardt über KLATSCH