Rahn spritzt … und Tooor!

Kratzen neue, alte Dopingvorwürfe gegen die Fußballweltmeister von 1954 am Gründungsmythos der Bundesrepublik? Ach was. Rahn hat geschossen, Rahn hat getroffen. Das bleibt auch so

VON BERND MÜLLENDER

Nein, ein Witz ist es nicht, wirklich nicht – auch wenn das Buch im Scherz-Verlag erschienen ist. Es ist bitter ernst. Der Journalist Jürgen Bertram ist den Dopinggerüchten nachgegangen, die den deutschen WM-Triumph der „Helden von Bern“ mit dem 3:2-Finalsieg seit 1954 begleiten. Die Vorwürfe, mit denen der ungarische Kapitän Ferenc Puskas schon damals Schlagzeilen machte, werden 50 Jahre danach detailliert reanimiert: Die Sensationsweltmeister Fritz Walter & Co sollen gedopt gewesen sein. Unsere Helden von Bern widerrechtlich und unsportlich leistungsmanipuliert? Damit wäre der Gründungsmythos des westlichen Nachkriegsdeutschland in seinen Grundfesten erschüttert.

Bertrams Buch ist gerade erschienen. „Report aus Mainz“ (ARD) legte am Montag nach. Da berichtete der Platzwart des Berner Wankdorf-Stadions, der die Kabine der Deutschen aufgeräumt hat, er habe dabei „einige Ampullen entdeckt“, offenbar fahrlässig vergessen in der Jubelhektik, „da war sicher was Verbotenes drin“. Sicher ist: Die deutschen Spieler waren nach dem 4.Juli 1954 an einer mysteriösen Gelbsuchtepidemie erkrankt. Heute scheint sicher, dass es daran lag, dass gegen jede ärztliche Vernunft ein und dieselbe Spritze für alle benutzt worden war. Aber was war drin? Nur Vitamine? Es gab damals schon geheime Dopingforschung.

Die Betroffenen jedenfalls sind schwer betroffen. Horst Eckel (74), einer der letzten lebenden Weltmeister, echauffiert sich: „Was da hochkommt, ist die größte Frechheit – nach 50 Jahren so etwas überhaupt auf den Tisch zu bringen!“ Der verstorbene Läufer Werner Liebrich hat schon vor Jahren inmitten einer ähnlichen Diskussion geseufzt: „Im Prinzip sind wir doch die Deppen der Nation.“

Der Deutsche Fußball-Bund wiegelt selbstredend ab, das sei ein Problem der Zeitgeschichte, nicht des DFB. Immerhin: Eine Erklärung des Deutschen Sportärzte-Bundes von 1952, der auch der DFB zugestimmt hatte, bezeichnet „jedes Medikament – gleichgültig ob es wirksam ist oder nicht–, das mit der Absicht der Leistungssteigerung gegeben wird“, als Doping.

Sind wir unsportliche Pfuscher? Deutschland, einig Betrügerland? Es wird weitergehen mit den Enthüllungen der nationalen Miesmachergilde. Der Spiegel sitzt an einer großen Story über die gespritzten Antihelden von 1954; Stefan Aust hat dem Vernehmen nach das Ganze zur Chefsache erklärt. Die Geschichte wird im April erscheinen, zeitgleich mit dem nächsten Enthüllungsbuch – von ZDF-Historiker Guido Knopp. Und darin wird es, so viel ist jetzt schon durchgesickert, erst recht zur Sache gehen. Mit scheußlichen Details. Und neuen Beweisen, was Toni Turek zum Fußballgott gemacht hat.

Wir sehen eine internationale Verschwörung am Werk: Ungarn wird sich bestätigt fühlen, dass seine Wundermannschaft nur mit Liebrichs brutalem Foul an Ferenc Puskas im Vorrundenspiel und eben mit Ampullen besiegt werden konnte. Ob Ungarn darauf verzichten wird, mit diesen Deutschen gemeinsame Sache in einer EU zu machen, wird sich zeigen. Auch ob Lothar Matthäus als Ungarns Bundestrainer noch tragbar sein wird. International wird der deutsche Fußball isoliert: Vor allem in England werden sie höhnen über die Spritzen-Krauts und Doping-Panzer. Ob die WM 2006 in Deutschland bleiben kann?

Aus dem Hintergrund hatte Rahn geschossen, getroffen, und das wird immer so bleiben – selbst wenn er sich vorher einen Schuss gesetzt hat. Da können vaterlandslose Nestbeschmutzer wie Bertram, Knopp und Aust noch so viele Absurditäten ans Licht befördern. Die Spieler haben eben alles gegeben, Gesundheit und sogar das Leben.

Deutschland, der Junkie-Weltmeister? All das ist schlimm. Aber die allergrößte Frechheit wird in einem anderen Buch zur Bern-Euphorie, seit dieser Woche im Handel, schonungslos aufgedeckt („Fritz Walter, Kaiser Franz und wir“, Eichborn-Verlag): In Sönke Wortmanns „Wunder von Bern“ hat tatsächlich ein Jan Holland den deutschen Läufer Karl Mai gespielt. Holland! Welch unverschämt verschwörerische Besetzung! Damit ist jetzt auch Holland Weltmeister!