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: Große Koalition in Bremen – Die Liebe dauert oder dauert nicht

Die Bremer Ehe hat alle Anfechtungen überstanden. Sie hat sich sogar von einer Vernunft- zu einer Liebesbeziehung zwischen Henning Scherf (SPD) und Hartmut Perschau (CDU) gewandelt. So viel Beziehungsarbeit mussten die Bremer gestern einfach honorieren. Belohnt wurde allerdings nur der stürmische Liebeswerber Scherf. Perschau, der sich ihm hingab, erlitt schmerzliche Verluste.

 Warum? Henning Scherf hat die Koalition mit der CDU stets mit Blick auf Sachnotwendigkeiten gerechtfertigt. Bremen müsse gleichzeitig sparen und investieren, wenn es überleben wolle. Gemeinsamer Bezugspunkt der beiden großen Volksparteien sei das Gemeinwohl, dem sich die hanseatischen Bürger unabhängig von ihrer parteipolitischen Orientierung schon von jeher verpflichtet gefühlt hätten. Zivilgesellschaftliches Engagement solle dort einspringen, wo dem Staat die Luft ausgegangen sei – von der Kultur bis zu den Schulen. Für die aber, die hartnäckig ihre Forderungen nach sozialer Sicherheit an den Staat richten, müsse die Devise „Fördern und fordern“ gelten. Schließlich seien sie von den Imperativen des Gemeinwohls nicht ausgenommen.

 Jeder müsse also sein Scherflein entrichten – es macht nichts, dass, gemessen an dieser geballten Ladung Ideologie, der Erfolg der großen Koalition in Sachen Verschuldung sich nicht besonders ansehnlich ausnimmt. Die auf vorgebliche Sachlogik ausgerichtete, entpolitisierende und aufs Zusammenrücken und Opferbringen zielende Strategie Scherfs traf auf eine verbreitete Gemütslage. Fast sieht es so aus, als habe Johannes Rau einen späten Sieg errungen, der mit seiner Devise „Zusammenführen statt spalten“ bei den Bundestagswahlen 1987 so erfolglos war.

 Dennoch stößt jeder Versuch, Scherfs Erfolg auf die Bundesebene zu projizieren, auf Schwierigkeiten. Denn anders als bisher die Bremer Konservativen sind die Parteispitzen von CDU und CSU, Letztere besonders in der Person Stoibers, nicht auf die Konsens-, sondern auf eine Streitgesellschaft erpicht. Und dies umso mehr, je ähnlicher sich die Wirtschaftsprogramme von SPD und CDU/CSU werden. Die CDU fühlt sich seit je als legitime Vertreterin des Gemeinwohls. Und den Ruck durch die Gesellschaft, den Scherf postuliert, hat einer der ihren, Roman Herzog, erfunden. Weshalb es Perschau jetzt schwer haben wird, sich dem Scheidungsbegehren näherer oder fernerer Verwandter zu widersetzen.

CHRISTIAN SEMLER