Zwischen Lyrik und Dramatik

Erst zum Ende des zweiten Akts die passende Schwingungsebene gefunden: Tschaikowskys „Pique Dame“, die jetzt an der Hamburger Staatsoper Premiere hatte, ist nur streckenweise gelungen

von REINALD HANKE

Offizier Hermann ist ein Außenseiter im Offizierscasino. Alle haben sie Geld und vertreiben sich die Zeit mit Kartenspielen, nur er, Hermann, kann nicht daran teilnehmen. Er hat kein Geld, das er setzen könnte.

Als er sich dann in Lisa verliebt und erfährt, dass ihre Großmutter, eine steinreiche, alte Gräfin, über ein Geheimnis verfügen soll, mit dem man unfehlbar beim Spiel gewinnen kann, versucht er mit allen Mitteln an diese Informationen zu kommen. Er verfällt dem Wahn, sich über das vermeintlich todsichere Spiel Geld und Ansehen zu erwerben. Die Rechnung geht allerdings nicht auf. Er verliert alles und erschießt sich schließlich in der Hoffnung, dass ihm Lisa verzeihen möge.

So könnte man den Inhalt von Tschaikowskys später Oper Pique Dame zusammenfassen, die jetzt an der Hamburger Staatsoper Premiere hatte. Es ist ein düsteres Stück über allzu menschliches Liebes- und Anerkennungsstreben einerseits, Wahnvorstellungen und ihre fatalen Folgen andererseits.

Düster ist auch das Bühnenbild von Willy Decker. Wolfgang Gussmann hat die Kastenbühne mit schwarzen Türmen begrenzt, die nebeneinander gestellt schwarze Wände ergeben, sich aber auch wie wandelnde Säulen verwenden lassen. Dazu gibt es großformatige schwarzweiß-Fotos und Malereien als Sinnbilder für die Wahnvorstellungen Hermanns: ein schlüssiges und wirkungsstarkes Konzept, das jedoch den Nachteil hat, dass der Zuschauer zwischen Außenräumen und Innenräumen kaum unterscheiden kann. Der Klarheit des im Detail wenig zwingenden Handlungsverlaufs der Tschaikowsky-Oper kommt dieses Konzept nicht gerade entgegen. Somit hatte die Aufführung noch ein Problem mehr, als das ohnehin nicht vollkommen gelungene Stück.

Die streckenweise wenig überzeugende, teilweise aber auch äußerst wirkungsstarke Mischung aus Lyrik und Hochdramatik dieser Oper ist in einer Aufführung schwer zu einer Einheit zu bringen. Aber auch die Tatsache, dass Tschaikowsky für die männliche Hauptrolle einen Tenorpart geschrieben hat, der im Anspruch den größten Wagnerpartien nicht nachsteht, jedoch nicht sehr dankbar zu singen ist, schreckt etliche Dirigenten ab.

In Hamburg musste man in den ersten beiden Akten miterleben, wie sich der Sänger dieser Rolle, Robert Brubaker, mühsam durch das Stück hangelte. Sein kräftiger Tenor klang zunächst ständig angestrengt. Von der für diese Rolle zwingend notwendigen Leichtigkeit und Pianokultur war wenig zu hören. Alles klang grob, laut und undifferenziert. Genauso klang es allerdings auch aus dem Orchestergraben, in dem sich Ingo Metzmacher eineinhalb Akte lang vergeblich mühte, den schmalen Grat zwischen Lyrik und Dramatik zu beschreiten.

Doch mit der großen Szene der alten Gräfin am Ende des zweiten Aktes fand Metzmacher dann den richtigen musikalischen Atem für diese Szene und für dieses ganze Stück. Subtil fächerte er nun den Klang auf, schuf den Klangraum für die in der Vergangenheit befangenen Äußerungen der Gräfin. Julia Juons höchst eindringliche Gestaltung zwischen beginnender Altersverwirrung und Momenten geistiger Klarheit, Resignation und Selbstgefälligkeit wurde zum Höhepunkt des Abends. Die starke schauspielerische und gesangliche Präsenz und Glaubwürdigkeit muss die anderen Sängerdarsteller geradezu angesteckt haben, denn von jetzt an steigerte sich nicht nur der Tenor Brubaker in erstaunlichem Maße, sondern auch alle anderen Mitwirkenden.

Metzmacher gelang nun die Balance zwischen Lyrik und Hochdramatik bestens. Und Adrianne Pieczonkas als Lisa steigerte sich gleichfalls auf eindrucksvolles Niveau. So geriet der dritte Akt dann noch zu einem unvermutet bewegenden Opernereignis.

nächste Vorstellung: 1.6., 19 Uhr, Hamburgische Staatsoper