Mit ostdeutschen Impulsen dichter ans Leben

Mit Barbara Rinke wird eine pragmatische Kommunalpolitikerin Vorsitzende des evangelischen Kirchenparlaments

Resolut, couragiert, ostdeutsch bodenständig. Drei Attribute, die übereinstimmend von allen genannt werden, die Barbara Rinke persönlich kennen. Wer sie 1999 als Präsidentin des Evangelischen Kirchentages in Stuttgart bei ihrem bislang wichtigsten Auftritt erlebt hat, kann dieses Urteil nur bestätigen.

Nach einer Reihe von Männern, nach 18 Jahren der Ära Jürgen Schmude ist sie die erste Frau an der Spitze des Evangelischen Kirchenparlaments. Am Freitagabend wählte die Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland die 56-Jährige in Leipzig zu ihrem Präses. Zwölf Jahre lang war sie Vizepräsidentin dieses einmal jährlich tagenden Laiengremiums. Klar, dass sie nicht nur als Quotenfrau oder „Ossin“, sondern folgerichtig an die erste Stelle rückt.

Trotz ihres selbstbewussten Auftretens dürfte Barbara Rinke weniger polarisieren als vielmehr die moderierende Rolle ihres Vorgängers Jürgen Schmude fortsetzen. Beide tragen ihr SPD-Parteibuch hier nicht vor sich her. Das dürfte bei der sprichwörtlichen Unabhängigkeit, ja Unberechenbarkeit der Synodalen auch nicht geraten sein, zumal konservative Kirchenkreise am Wochenende in Leipzig eher eine Unterrepäsentanz im Präsidium beklagten.

Nun jedoch steht eine handfeste Pragmatikerin für sechs Jahre an der Spitze der Synode. Wer seit 1994 in Nordhausen am Südrand des Harzes Oberbürgermeisterin ist, den haben sehr diesseitige Probleme fest im Griff. Barbara Rinke entstammt einer alten, ortsansässigen evangelischen Familie mit einem nicht minder handfesten Handwerk: Die studierte Werbeökonomin verstärkte lange Zeit die väterliche Autoreparaturwerkstatt. Nach der Wende übernahm sie den reprivatisierten Betrieb selbst, den die SED im Zuge der Enteignungswelle 1972 verstaatlicht hatte.

„Als Mensch wird sie in der Stadt breit akzeptiert“, räumt ihr politischer Kontrahent Klaus Zeh von der CDU ein, der die letzte Kommunalwahl gegen sie verlor. Zweifel gebe es nur an ihrer Wirtschaftskompetenz in dieser von allen klassischen Kommunalsorgen geplagten 50.000-Seelen-Stadt mit 21,8 Prozent Arbeitslosigkeit. Dass sie 2001 die Stadt für „pleite“ erklärte, sei nicht gerade förderlich gewesen.

Umso unbestrittener gilt allerdings ihre Kompetenz in Kirchenfragen. Während der DDR-Jahre, in denen sie wegen der vier Kinder nur beschränkt berufstätig war, engagierte sie sich schon in der kirchlichen Nische und der Friedensarbeit. In der Kommunalpolitik weiterhin „dicht am Leben“ zu bleiben, findet Barbara Rinke mit Blick auf die Synodenarbeit nur förderlich. Hier waren allerdings neue Akzente von ihr zu vernehmen. Ohne die Regierungsvorhaben beim Namen zu nennen, schreibt sie das Thema Gerechtigkeit gerade vor dem biblischen Hintergrund auf ihre Agenda. „Mit ostdeutschen Erfahrungen sind wir da der Westentwicklung voraus.“ In negati-ver Hinsicht, ja, aber auch in positiver mit Blick auf Verände-rungsfähigkeit und fehlendes Besitzdenken.

Rinkes Wahl fällt in die unmittelbaren Vorbereitungen des ökumenischen Kirchentages in Berlin. Auch hier hofft die neue Präsidentin auf einen ostdeutschen Impuls. War doch der Umgang des Kirchenvolks beider Konfessionen in der DDR ein viel selbstverständlicherer als heute.

MICHAEL BARTSCH