Mehr Ausnahmen für die Kartelle

Die Novelle des Kartellrechts bringt manchen Vorteil für Verbraucher – und viel Spielraum für die Unternehmen

HAMBURG taz ■ Wie gefährdet der wirtschaftliche Wettbewerb in Deutschland ist, belegt der westdeutsche Kabelsalat. Fünf Jahre nach der Liberalisierung des Kabelnetzes wird das staatliche nun durch ein privates Monopol ersetzt. Das Bundeskartellamt steht solchen und anderen Gefahren recht wehrlos gegenüber. In Zukunft wird dies noch häufiger der Fall sein, denn ab Mai gilt ein neues Fusions- und Kartellrecht, und das kommt aus Europa.

Selten geht es so offenkundig zu wie beim Kauf von Kabelnetzen, Kartelle wirken lieber im Geheimen, was die Arbeit des Bundesamtes oft zu einem Detektivspiel macht. Präsident Ulf Böge freut sich umso mehr über eine beachtliche Aufklärungsquote: „Die Kartellbekämpfung ist 2003 griffiger und effizienter geworden.“ Ermöglicht haben dies eine paar zusätzliche Planstellen sowie die neue Kronzeugenregelung. Kartellbrüder und -schwestern, die auspacken, wird die Strafe ganz oder teilweise erlassen.

Eine Folge waren Bußgelder von insgesamt 710 Millionen Euro im vergangenen Jahr. Allerdings entfallen 702 Millionen Euro davon auf ein einziges Kartell, das in der Zementindustrie – die höchste Strafe in der Geschichte des Amtes und weit mehr, als Microsoft sein europaweiter Machtmissbrauch kosten soll (497 Millionen Euro). Kürzlich führten die Kartellbekämpfer erneut Hausdurchsuchungen in der Zementindustrie durch. „Wir sind Hinweisen nachgegangen, wonach Hersteller Preisabsprachen praktizieren“, heißt es im Bundeskartellamt.

Trotzdem wirken die Wettbewerbswächter schwach. Neben vielen Ausnahmen bei Banken, Versicherungen, Ärzten oder Fußball verärgern Kritiker vor allem offensichtliche Regelverstöße. Wenn bundesweit die Benzinpreise im Gleichschritt steigen, ist ein Kartell zwar fühlbar, aber es fehlen oft die Beweise. Bei Strom und Gas ist der Wettbewerb nach Meinung des Kartellamtes faktisch zum Erliegen gekommen, weil sich die Konzerne die Bundesrepublik durch Fusionen in drei Regionen aufgeteilt haben. Aber zu mehr als der übervorsichtigen Feststellung, dass die Strompreise von allen Unternehmen erhöht worden sind, kommt es nicht.

In diesem Umfeld versucht Wirtschaftsminister Wolfgang Clement eine Reform des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB). Im April, so ein Sprecher, soll der Kabinettsentwurf erscheinen. Endlich – denn ab 1. Mai wird das Euro-Recht gelten. Die Clement-Novelle dürfte einen Schadenersatzanspruch für geprellte Verbraucher bringen, aber vor allem die Angleichung deutschen Wettbewerbsrechts an die EU-Gesetze. So wird im deutschen Kartellrecht künftig die so genannte Legalausnahme gelten. Danach müssen Unternehmen nicht mehr jede möglicherweise wettbewerbsbehindernde Kooperation anmelden, sondern sie können selbst bewerten, ob sie gegen das Kartellverbot verstoßen.

Die Beweislast wird umgedreht. Ein „Systemwechsel“, klagt das Kartellamt. Unter dem Stichwort Entbürokratisierung soll sich die Fusionskontrolle nicht mehr an harten Marktanteilen, sondern weichen, vermeintlichen Wettbewerbswirkungen orientieren, Pressefusionen sollen erleichtert, die Wasserversorgung liberalisiert und die Ministererlaubnis vereinfacht werden. Unterm Strich drohen eine Teilentmachtung des Bundeskartellamtes und mehr Toleranz für Kartelle und Oligopole.

Immerhin glaubt man im Wirtschaftsministerium weiterhin, dass es ohne ein Kartell- und Fusionsrecht überhaupt keinen Wettbewerb mehr geben würde. Die Zahl der Wettbewerbshüter – oberster Chef ist Bundeswirtschaftsminister Clement – beträgt trotzdem gerade einmal 270. Und in Brüssel sollen es nur noch 140 Mitarbeiter sein.

HERMANNUS PFEIFFER