Inszenierter Aufstand

Die Hamburger Medien setzen den Präsidenten des FC St. Pauli, Corny Littmann, auf ihre Abschussliste. Ex-Trainer Franz Gerber ist ihr Liebling

von RENÉ MARTENS

Wenn in der Fußball-Regionalliga heute abend der FC St. Pauli zum Heimspiel auf den Chemnitzer FC trifft, erscheint das Fan-Magazin Der Übersteiger schon zum 67. Mal. Aber so perfekt wie dieses Mal haben die textenden Fußballfreunde ihr Blatt bisher noch nie vorab promotet: Die WELT warb bereits am Mittwoch ausführlich für ein 20-seitiges Special des Fanmagazins, in dem der Rücktritt von St. Pauli-Präsident Corny Littmann gefordert wird. Das Hamburger Abendblatt zog gestern nach, unter anderem erfreut über die Einschätzung des Übersteigers, der Klub sei unter der derzeitigen „Führung in seiner Existenz bedroht“. Einen „Fan-Aufstand gegen Littmann“ hatte vorher schon die Hamburger Morgenpost ausgemacht.

Die große Koalition zwischen der Rechtspresse der Hansestadt und einigen tendenziell eher linken Fangruppen mutet auf den ersten Blick aberwitzig an, denn die Positionen der Supporterszene sind der Lokaljournaille normalerweise reichlich wurscht. Aber weil der FC-Vorstand in der abgelaufenen Woche ihren geliebten Kameraden Franz Gerber als Trainer gefeuert hat, ist den St.-Pauli-Chronisten der vier hier ansässigen großen Tageszeitungen jetzt jeder Kampfgenosse recht. Hauptsache, es geht gegen Littmann – dem Theatermann, mit dem die Redakteure ohnehin nie recht warm geworden waren, ganz anders als mit dessen männerbündlerischen Vorgänger Reenald Koch. Allein deshalb instrumentalisiert die hiesige Presse die berechtigte Fan-Kritik an Littmanns zunächst tollpatschig-autokratischem Verhalten, als er vor zwei Wochen mehreren Fans Stadionverbot am Millerntor erteilte (die taz berichtete), ebenso wie die Empörung all jener Leser, die sie in den letzten 16 Monaten zu Franz-Gerber-Jüngern erzogen hat.

Selten zuvor in der Geschichte des Sportjournalismus waren Berichterstatter einem Trainer so ergeben wie die hiesigen dem egomanischen Guru Gerber, nie zuvor hat ein Coach in der Presse derart massiv seine Vorgesetzten angreifen dürfen – in weniger provinziellen Regionen wäre eine nennenswerte Gegenöffentlichkeit entstanden. In Hamburg dagegen zementiert die Morgenpost, das einzige Nicht-Springer-Blatt unter den Großen in der Stadt, mit ihrer St.-Pauli-Berichterstattung ihren Ruf als „dümmste Zeitung der westlichen Welt“, wie es der Konkret-Herausgeber Hermann L. Gremliza vor Jahren in aller Freundlichkeit formuliert hat.

Jedes andere Präsidum eines Fußballklubs hätte einen eitlen Gecken wie Gerber schnell an die Leine gelegt – zur Not mittels einer Abmahnung. Die FC-Verantwortlichen hingegen ließen ihn so lange Wind und Lärm machen, bis ein erschütternd großer Teil von St.-Pauli-Fans fest daran glaubte, ausgerechnet den als Sportdirektor und Trainer in zweifacher Hinsicht sportlich Verantwortlichen träfe keine Schuld am fortdauernden Elend auf dem Rasen. Die aktuelle Kampagne gegen Litttmann ist somit auch eine Folge dieser Tatenlosigkeit, da kann der betroffene Präsident jetzt noch so viel lamentieren.

„Bleibt zu hoffen, dass sich die Befürchtung manches Beteiligten, die Sache könne aus dem Ruder laufen, als unbegründet erweist“, schreibt die Morgenpost mit Blick auf die heute zu erwartenden Fan-Proteste gegen die Trainerentlassung. Gemeint ist aber das Gegenteil: Was die Hamburger Presse will, ist nicht weniger als der totale Riot.