Verklären und Ausgrenzen

Museum für Völkerkunde präsentiert in einer großen Ausstellung innovative und desillusionierende Facetten des in Deutschland wenig bekannten Volks der Dogon aus dem südlichen Mali

von Hajo Schiff

Der Bleichfuchs führt das Orakel aus: Je nachdem, wie seine nächtlichen Spuren in den dreimal sechzehn Feldern, die der Priester am Vorabend in den Sand gezeichnet hat, verlaufen, wird sich die Zukunft gestalten. Ein solches Sandorakel ist das erste Objekt der Schau über die Dogon im Museum für Völkerkunde. Es ist erst die dritte größere Schau über das in Deutschland wenig beachtete, 250.000 Menschen zählendeVolk aus dem südlichen Mali. Dabei gehört es zu den best erforschten Völkern Afrikas: Über 1.000 wissenschaftliche Werke gibt es über das hochkultivierte Ackerbauvolk und seine besondere Lehmarchitektur.

Besonders in Frankreich ist das Volk, seine Kunst und seine hoch komplexe animistische Mythologie berühmt. Durch die seit 1931 durchgeführten Forschungen von Marcel Griaule, durch die Aufnahme der Dogon-Skulpturen in westliche Sammlungen und das Interesse von Picasso und Matisse, Derain und Lipchitz an deren Kunstwerken hatten die Dogon großen Einfluss auf die französische Kultur.

Die Künstlerin und Ethnologin Ilsemargret Luttmann holt in ihrer jetzigen Hamburger Schau die Dogon ein wenig auf den kargen Boden der Tatsachen zurück. Sie zeigt desillusionierend, wie in traditionellen Dörfern Plastik, Fernseher und Touristen Einzug halten, wie ein Volk verführt ist, alte Rituale zum Schauspiel zu machen, aber auch, wie aus alten Traditionen neue, kreative Formen gefunden werden. So tauchen die etwa 80 Charaktermasken, die bei Totenfeiern die Seelen der Verstorbenen ins Jenseits überführen sollen, inzwischen als aus Plastiksandalen geschnitzte Figuren wieder auf – und behalten wunderbarerweise ihre Magie. Auch liegt der Kunstschwerpunkt dieser Ausstellung nicht auf den Holzschnitzwerken der Dogon, sondern bei einem Konvolut von documentareifen Zeichnungen des Künstlers Alaye Kene Ato. Ohne Rückhalt in der eigenen Gesellschaft zeigt der durch eine Schussverletzung der linken Hand Beraubte in surrealistisch anmutenden Szenen Erzählungen vorwiegend aus der bizarren Welt der Buschgeister. Seine oft vielköpfigen Figuren sind in Filzstift auf A4-Büropapier gemalt, Technik und Form haben keine traditionellen Vorbilder – und sind doch durchdrungen von Poesie und Ehrfurcht vor dem traditionellen Glauben.

Neben diesen Farbzeichnungen, den Dokumentations- und Kunstfotos gibt es noch einen sechsten Baustein in der Ausstellung: den als „Gast und vitales Element“ bezeichneten Opferpriester Ogokongo, den Assistenten des höchsten Würdenträgers der Dogon, des Hogon von Arou. Dem Museum für Völkerkunde sind solche unmittelbaren Begegnungen ein besonderes Anliegen. Doch in der „Festung Europa“ ist solch persönlicher Austausch eher unwillkommen: Der Ongokongo wurde in Paris zwei Tage festgehalten und schließlich zwangsweise nach Malis Hauptstadt Bamako zurückgeflogen – angeblich, weil er nicht genug Geld bei sich hatte. Und das trotz eines gültigen deutschen Visums und offizieller Einladung zu einen Projekt, zu dessen über elf institutionellen Unterstützern immerhin auch das Auswärtige Amt, der Deutsche Entwicklungsdienst und die Hamburger Senatskanzlei gehören. Ungeachtet der Interventionen deutscher Seite und dem Verlangen nach Entschuldigung und Entschädigung für den doppelten Flug, gab es selbst bei der zweiten, wieder offiziell bestätigten Einreise des ranghohen religiösen Repräsentanten seines Volkes Schwierigkeiten.

Doch nun ist der Ogokongo in Hamburg. Der Opferpriester bietet noch etwa 14 Tage auch außerhalb der Sonderveranstaltungen täglich von 15 bis 17 Uhr Gespräche und Führungen durch die Ausstellung an.

Di–So 10–18, Do bis 21 Uhr; bis 23. 5. Filmvorführungen jeweils Do, 19 Uhr. Infos: www.voelkerkundemuseum.com