Die herrliche Freiheit auf dem Omafiets

Wie gefährlich ist Berlin für Radfahrer? Die taz schickte zwei echte Kenner aus dem Fahrradparadies Holland auf die Straße. Ihr Eindruck: Es fehlen Radwege, die Geliebte auf dem Sattel und alte Radler. Dafür gibt es wunderbar breite Busspuren. Aber lebensgefährlich ist Radeln in Berlin nicht

VON SERGE SEKHUIS
(Text) und ERIK-JAN OUWERKERK (Fotos)

Neugierig, wie gefährlich es tatsächlich ist, Berlin auf dem Rad zu durchqueren, machte ich armer niederländische Journalist mich auf den Weg. Kräftig auf einem „Omafiets“ in die Pedalen tretend auf der Suche nach Einordnungsspuren, plötzlich auftauchende Fahrradwege, tote Winkel und höfliche Autofahrer.

Wer immer geradeaus fährt und schön auf der rechten Straßenseite bleibt, hat wenig Schwierigkeiten. Erst wenn ein wehrhafter Radler auf den schwer befahrenen Alexanderplatz links abbiegen will, beginnen die Probleme. Denn anders als in der niederländischen Heimat, wird man hier in Berlin von nichts und niemandem aufgefordert, sich ordentlich einzuordnen zwischen dem brausenden Blech. Also absteigen, ruhig warten, bis das Fußgängerlicht grün wird, und dann rübergehen – zu Fuß.

So geht das in einer Stadt, in der die Zahl der Radfahrer zwar fortwährend wächst, die aber immer noch zu wenig sind, um bemerkt zu werden. Sie müssen sich die Beachtung durch den motorisierten Verkehr mit einigem Ungehorsam abnötigen. In Berlin wie in Holland.

Wir haben es geschafft, das Alex-Hindernis ist genommen. Halt machen wir erst an der nächsten Verkehrsampel. Potztausend, was ist denn das? Ich dachte, es gibt hier keine ausgeschilderten Fahrradwege. Und jetzt sehe ich hier an der Ampel ein kleines weißes Fahrrad auf den Asphalt gekalkt. Mit den Autos biegt der Weg nach links ab, die Karl-Liebknecht-Straße entlang. Lange Schlangen von parkenden Pkws und Blech, das es deutlich eilig hat. Zu eilig, um Fahrrädern Vorfahrt zu geben, falls sie mich überhaupt sehen.

Am Dom vorbei geht es hinter dem Friedrich auf seinem Pferd nach links, hinein in die morgendliche Rushhour der Friedrichstraße. Wieder brav einordnen. Entschuldigung, ich mache das, weil ich es nicht anders gewöhnt bin. Zur Friedrichstraße musst du auf jeden Fall, sagten mehrere meiner taz-Kollegen, sobald sie hörten, welch gefährlichen Plan ich hatte. Da wirst du es bestimmt schwer haben.

In der Tat, es ist ziemlich eng, insbesondere dort, wo Verkehrsinseln mit U-Bahn-Ausgängen die Straße in zwei Teile schneiden. Autos brausen haarscharf vorbei und lassen an der Ampel kaum Platz zum überholen. Aber lebensgefährlich ist es nicht. Es kommt, wie zu Hause, auf Improvisationsfähigkeit, Kreativität und Vorausschau an.

Hollandfahrrad heißt mein Gefährt. Daheim nennen wir es „Omafiets“ – nach den alten Damen, die es dort benutzen. Ein Kollege hat es mir geliehen, damit ich holländischer aussehe. Marke Zuiderzee. Mit altmodischer Rücktrittbremse. Und einer Extrahandbremse an dem breiten Lenker. Das ist hier gesetzlich vorgeschrieben, erzählt mir der mitfahrende Fotograf. Auch er ist Niederländer. Er wohnt schon 16 Jahre in Berlin und radelte schon durch die Straßen, als das noch eine Rarität war. Damals wurde er von der Polizei gestoppt, weil die zweite Bremse fehlte. Wieder was gelernt.

So wie man hier auch niemanden auf dem Gepäckträger mitnehmen darf. Zu Hause sehe ich nichts anderes. Kaum etwas ist romantischer, als mit der Geliebten im Amazonensitz auf dem Gepäckträger durch die Stadt zu touren. Ihre warmen Arme um deine Taille. Das können die Berliner nicht genießen. Dafür hängt an der nächsten Kreuzung neben der Ampel für die Autos tatsächlich eine zweite, kleine Ampel – nur für mich. Wenige hundert Meter weiter ist sogar endlich ein blaues Schild mit weißem Fahrrad zu sehen. Die Niederlande sind voll davon, in Berlin sieht man sie selten.

Der Fotograf, der gemütlich neben mir fährt (obwohl auch das offiziell nicht gestattet ist und einige Taxifahrer sich hupend aufregen), hat die Erklärung: Es gibt in der Stadt zwar Fahrradwege. Aber die sind fast alle so schmal, dass man nicht zu zweit nebeneinander her fahren kann. Radikale Radfahrer haben protestiert, weil sie verpflichtet wurden, die blauen Schildchen zu beachten. Der Protest war erfolgreich. Viele Schildchen seien daher wieder entfernt worden.

Das bringt diese verwöhnten niederländischen Radfahrer in neue Schwierigkeiten. Die schmalen Fahrradwege sind nicht immer – oder fast nie – von weitem zu erkennen. Sie tauchen manchmal plötzlich auf und enden so unerwartet wie sie anfingen. Wenn sie nicht von Autos zugeparkt werden.

Der Kottbusser Damm. Lastwagen versperren die Hälfte der Straße. Aber so was gibt es in Holland auch. Kreativ slalommen wir herum. Am Ende des Damms eine neue Herausforderung: Der Kreisverkehr am Kottbusser Tor. Von den Kollegen freundlich gewarnt, erwarten wir das Schlimmste. Aber selbst nach drei kompletten Runden gibt es noch immer höfliche Automobilisten, die die Vorfahrt beachten.

Wie gesagt, es wird immer mehr Rad gefahren in Berlin. Doch es ist nur eine bestimmte Gruppe, die das unmotorisierte Zweirad dem Vierrad vorzieht. Ordentlich gekleidete Herren mit wehender Krawatte und Aktentasche sieht man nicht pedalieren, wie daheim in Limburg. Ältere Berliner fehlen als Radfahrer im Straßenbild. Sie nörgeln nur, wenn wir ein kleines Stück auf dem Trottoir rollen. Der Generationenunterschied.

Eine knappe Stunde sitzen wir jetzt auf dem Stahlross. Wir haben das ganze Zentrum durchkreuzt auf der Suche nach gefährlichen Situationen. Manchmal war es etwas schwierig zu manövrieren. Aber wir niederländischen Radfahrer sind schon einiges gewöhnt.

Das Einzige, was wir nicht haben in den Innenstädten von Amsterdam, Maastricht oder egal wo sonst, sind 50 Meter breite Alleen mit Busstreifen, die man frei als Fahrradweg benutzen kann. Wie Unter den Linden. Welch eine Freiheit, ein herrliches Gefühl, an dieser historischen Stelle ganz ungestört strampeln zu können – den Wind im Rücken.

Vielleicht war es dummes Pech, dass wir an diesem Morgen nirgends in einen toten Winkel geraten sind. Aber Radfahren ist auch in Berlin nur so gefährlich wie man selber fährt. Eben wie zu Hause.