Notwehr gegen Sockenschuss

In Deutschland herrscht eine schlechte Stimmung? Ja, selbstverständlich!

Unbedingt vorgegangen werden muss mal wieder gegen das nicht enden wollende Gejammer professioneller Hysteriker, in Deutschland habe gefälligst „die Stimmung“ besser zu werden. Sofort! Sonst werde das nichts mehr „mit Deutschland“!

Sobald Deutsche das ganze Deutschland in den Mund nehmen, sollte man vorsichtshalber per se mal die Stimmung senken. Nationalem Maulheldentum, ganz gleich aus welchem Anlass und aus welcher Richtung, muss mindestens mit Missachtung begegnet werden. Schlechte Stimmung zur rechten Zeit ist völlig in Ordnung. Als Notwehrreaktion geradezu geboten und damit vorbildlich.

„Schlechte Verbraucherstimmung hält an. Der deutsche Binnenmarkt leidet unter der Kaufzurückhaltung der Konsumenten!“ Ja, warum denn nicht? Die Leiden des ganzen deutschen Binnenmarkts kenne ich nicht, die des einzelnen Konsumenten schon. Kürzlich habe ich in einem großen Kaufhaus versucht, ein Paar nicht preisreduzierte Socken zu kaufen. Fehlanzeige, es gab nur runtergesetzte, rabattierte, ge„sale“te, gebündelte Zehnerpacks „strapazierfähige Berufssocke“ in zerwühlten Haufen.

Dieser Zwang zum Ramschkonsum von angefasstem Zeug verursachte mir schlechte Laune. Der Dame an der Kasse ganz offensichtlich auch. Das kann ich gut verstehen. Sie fände es vielleicht besser, normale Ware zum normalen Preis an Menschen zu verkaufen, die sie sich leisten wollen. Stattdessen muss sie aber den lausig langen Arbeitstag lang in magenfaltige Konsumentengesichter wie meins schauen. Warum sollte sie ausgerechnet zu mir freundlich und zuvorkommend sein? Für sie war ich selbstverständlich auch nur einer dieser geizigen Schnäppchenjäger, die auf nichts anderes mehr geil sind als auf billige Angebote.

Vielleicht hatte die Kaufhausangestellte vor der Arbeit auch Zeitung gelesen oder Radio gehört und die Nachrichten persönlich genommen. „Die Deutschen sollen nach dem Willen von Wirtschaft, Union und FDP fürs gleiche Geld länger arbeiten“, damit es „den deutschen Betrieben“ wieder besser gehe. Ein bis zwei Stunden Arbeit mehr in der Woche seien der verträglichste Weg, das Einkommen der Beschäftigten zu sichern, meinte etwa die ausgelatschte CDU-Berufssocke Laurenz Meyer. Man kann wohl zu Recht vermuten, dass eine Kassiererin das kleine Einmaleins beherrscht und im Kopf kurz überschlagen hat, dass die so genannte „Wirtschaft“ samt angeschlossenen Politikern gerade vorschlug, sie solle ihr Einkommen durch Lohnverzicht sichern. Seit wann führen derart plumpe Versuche, Menschen für dumm zu verkaufen, bei denen zu guter Laune?

Der großmäuligen Klage über die „schlechte Stimmung“ in diesem Land schließen die Lautsprecher einschlägiger Interessenverbände notorisch die Forderung an, es müsse endlich ein Ende haben mit dem reformverweigernden Genörgel ewiggestriger Besitzstandswahrer. Auf solche Einmischung in innere Angelegenheiten reagiert der Gemeinte ebenfalls am besten mit Befehlsverweigerung. Wer sollte das Recht haben, zum Beispiel einer Kaufhauskassiererin zu verordnen, ihre mittelfristige Dienstleistungszukunft als mehrarbeitende Wenigerbezahlte glücklich zu bejubeln? Warum sollte sie optimistisch in die Perspektivlosigkeit blicken? Da stehe schließlich nur ich und halte ihr Rabattware zum Abkassieren entgegen. FRITZ ECKENGA