Eine Niederlage, die helfen kann

Gegen Irland verliert der deutsche EM-Gruppengegner Tschechien zum ersten Mal seit 29 Monaten

DUBLIN taz ■ Auch Verlierer können lachen. Karel Brückner musste sich dafür noch nicht einmal anstrengen. Der Trainer stand an der Seitenlinie, das Spiel lag in den sterbenden Sekunden, wie angelsächsische Fußballer die Nachspielzeit nennen. Da noch zu verlieren, ist bitter. Aber als Irlands Stürmer Robbie Keane in der Mittwochnacht beim Testspiel in Dublin vier Minuten über der Zeit mit seinem Tor zum 2:1 die tschechische Nationalelf in der Seele traf, lachte deren Trainer. Ein eleganter Mann von 64 Jahren, das silberne Haar halblang im Stil der ewig wilden Jugend; er ließ das Lachen ausgleiten in das schönste Lächeln.

Fußballtrainer reagieren in der Hitze des Spiels oft so absurd. Wenn ihr Team ein Siegestor schießt, gefriert ihr Blick zu Stein; zappelt der Ball im eigenen Tornetz, grinsen sie – und vielleicht merken sie gar nicht, was da mit ihnen passiert. Vielleicht werden sie von ihrer Anspannung auf komischste Weise ferngesteuert. Bloß: Brückner lächelte eine halbe Stunde nach dem Abpfiff immer noch. Als ob ihn die Niederlage erleichtert hätte. Und das wäre gar nicht so absurd.

Bis zum Mittwoch hatte Brückner keine Ahnung, wie sich eine Niederlage für einen Nationaltrainer anfühlt. Seit er im November 2001 den Posten übernahm, verlor Tschechien von 20 Spielen kein einziges, 29 Monate lang, eine phänomenale Serie. Mitgerissen von internationalen Größen wie Europas Fußballer des Jahres, Pavel Nedved, und Dortmunds Stürmer Jan Koller, stabilisiert von außergewöhnlichen Begabungen wie Torwart Petr Cech, 22, oder Ajax Amsterdams Verteidiger Zdenek Grygera, 23, landeten sie solche Coups wie ein 2:0 über Frankreich und ein 3:1 gegen die Niederlande. Tschechien, 1976 Europameister und 20 Jahre danach nochmals Finalist gegen Deutschland, aber trotzdem immer nur als Klasse 1b angesehen, findet sich vor der EM im Juni in Portugal plötzlich unter den Hauptfavoriten wieder. „Sie sind im Moment das Topteam in Europa“, sagte diese Woche Frankreichs Trainer Jacques Santini, „nicht nur wegen der Resultate, sondern auch wegen der Qualität ihres Fußballs“. Je länger die Unbesiegbarkeit angedauert hätte, desto größer wäre der öffentliche Druck geworden, desto stärker wäre die Besessenheit der Spieler angeschwollen, die Serie zu halten – desto größer die Gefahr, sie könnten verkrampfen, wenn es in einer fulminanten Euro-Vorrundengruppe gegen Deutschland, die Niederlande und Lettland ernst wird. „Klar, die Spieler leiden, weil ihre Serie hin ist“, sagte Brückner. „Aber für mich ist das schon vorbei, Vergangenheit, es war doch eh ungeheuerlich lang. Diese Niederlage kann uns helfen.“

Diese Niederlage gegen das nicht für die EM qualifizierte, aber bemerkenswert aufspielende Irland wird jedenfalls nichts an der Einschätzung ändern können, dass Tschechien ein Qualitätsteam ist. Sie wirft jedoch die Frage auf, ob ihr Plan B funktioniert. In Zeiten der Unbesiegbarkeit schickte Brückner praktisch immer dieselbe Elf aufs Feld, bei der Probe in Dublin fehlten mit den verletzten Tomas Rosicky, Vladimir Smicer und Karel Poborsky bis auf Nedved die Kreativen – und was die Vertreter wie Roman Tyce von 1860 München im Mittelfeld offenbarten, schaffte nicht unbedingt Vertrauen, dass Tschechien für eventuelle Ausfälle während der Euro bestens gerüstet sei. Zwei exzellente Einzelspieler, Jan Koller und Milan Baros, bildeten ein maues Sturmduo, auch wenn Baros zehn Minuten vor Schluss Ian Hartes zwischenzeitliches Führungstor ausglich.

Wer gekommen war, Nedved zu bestaunen, erlebte eine schöne Überraschung: Der Wirbelwind sauste im anderen Team. Damien Duff vom FC Chelsea ist nicht weniger als eine Sensation: ein Dribbler mit Tempo, Technik, Intelligenz wie Luís Figo in seinen besten Tagen. „Mein Kommandant“, wie Brückner Nedved nennt, dagegen raubte sich selbst seine Stärke: Er wollte so unbedingt anführen, dass er beharrlich auf der Chefposition im verstopften zentralen Mittelfeld kleben blieb, statt den Raum der Flügel zu nutzen, wo er seine Dynamik hätte ausleben können. „Ach, ich würde mich nicht auf solche Details versteifen“, sagte Brückner, und je mehr er redete, je mehr er lächelte, erhärtete sich ein Verdacht: Er hatte auf diese Niederlage gewartet. 29 Monate lang. Er war froh, dass er sie hinter sich hatte. Brückner grüßte noch einmal – und lächelte. RONALD RENG