Radovan Karadžić kann wieder entkommen

Erneut gelingt es der SFOR nicht, den bosnischen Ex-Serbenführer und mutmaßlichen Kriegsverbrecher zu verhaften

SPLIT taz ■ Aufregung herrscht in der Serbenhochburg Pale bei Sarajevo. Für gestern Nachmittag war eine Demonstration gegen das Vorgehen von SFOR-Soldaten angesetzt. Anlass ist eine Militäraktion in der Nacht zum Donnerstag, um des ehemaligen Serbenführers und als Kriegsverbrecher gesuchten Radovan Karadžić habhaft zu werden.

Unterstützt von Hubschraubern drangen rund 40 Soldaten aus den USA, Großbritannien und Deutschland sowie lokale Polizisten in die orthodoxe Kirche der Stadt ein. Es kam nach Berichten von Anwohnern zu einem Schusswechsel mit den dort ansässigen Priestern. Ein Priester und dessen Sohn wurden so schwer verletzt, dass sie von den SFOR-Soldaten in ein Hospital gebracht werden mussten.

Eine Krankenhaussprecherin erklärte, dass beide in Lebensgefahr schweben. Nach Angaben von SFOR-Sprecher Dave Sullivan wurden die beiden von kleinen Sprengsätzen verletzt, mit denen die Soldaten die Tür zu ihrem Haus aufgebrochen hätten. Es handelt sich um das Refektorium einer orthodoxen Kirche, in dem drei Priester mit ihren Familien wohnten.

Der verletzte Priester Jermijah Starovlah gilt als einer der serbischen nationalistischen Extremisten. In der vergangenen Woche hatte er erklärt, jeder serbische Geistliche sei verpflichtet, Karadžić bei der Flucht zu helfen und ihn vor einer Anklage vor dem UN-Kriegsverbrechertribunal zu bewahren. Einer von Starovlahs Kollegen kritisierte die Militäraktion als „Akt des Vandalismus, wie man ihn sonst nur in amerikanischen Filmen sieht“.

Am Vormittag versammelten sich mehrere hundert Anwohner vor der Kirche, um gegen das Vorgehen der SFOR zu protestieren. Seit Januar versuchen die internationalen Friedenstruppen in Bosnien und Herzegowina Radovan Karadžić zu fassen. Nach einer Reihe von Aktionen wurden mehrere Exleibwächter und Vertraute festgenommen und nach wochenlangen Verhören wieder entlassen. Die Schlinge um den Hals von Karadžić ziehe sich zu, erklärte Anfang Februar Paddy Ashdown, Hoher Repräsentant der internationalen Gemeinschaft in Bosnien und Herzegowina.

Über Jahre hatten die internationalen Truppen wenig unternommen, um Karadžić habhaft zu werden. Die jüngste Aktion in Pale bezeichnet Pressesprecher Sullivan dennoch als positiv. „Mit jeder Aktion gewinnen wir neue Erkenntnisse über den Aufenthalt des Gesuchten“, erklärte er gegenüber der taz. Auch nach dem ehemaligen Militärchef der Serben in Bosnien, Ratko Mladić, wird gefahndet. Er soll sich jedoch vornehmlich in Serbien aufhalten und müsste von den serbischen Behörden an das UN-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag ausgeliefert werden.

Wegen mangelnder Kooperation mit dem Tribunal hat US-Außenminister Colin Powell Serbien-Montenegro die finanzielle Unterstützung entzogen. Insgesamt hätte Serbien-Montenegro in diesem Jahr 100 Millionen Dollar erhalten sollen, von denen 43 Millionen bereits ausgezahlt wurden. Von dem Zahlungsstopp ausgenommen sind humanitäre Hilfen, Geld zum Aufbau der Demokratie in Städten und Gemeinden sowie Finanzhilfen für das Kosovo.

Serbiens Vojislav Koštunica hat bisher die Auslieferung von mutmaßlichen Kriegsverbrechern an das UN-Tribunal abgelehnt. Der Kurs Belgrads wurde am Dienstag verschärft. Das Parlament sprach mutmaßlichen Kriegsverbrechern in Haft finanzielle Unterstützung zu. Danach zahlt der Staat dem in Den Haag inhaftierten Expräsidenten Slobodan Milošević und anderen mutmaßlichen Kriegsverbrechern ein Gehalt und übernimmt die Kosten für ihre Verteidigung sowie für Besuche von Angehörigen. ERICH RATHFELDER