Kleine Koalitionen, große Sorgen

Die große Koalition in Bremen steht. Die rot-grüne Koalition in Düsseldorf wankt. Beides bringt den Bundeskanzler in Berlin in eine unangenehme Lage

aus Berlin JENS KÖNIG

Als Guido Westerwelle am Freitag zur 140-Jahr-Feier der SPD im Berliner Tempodrom erschien, überbrachte er den Genossen vor laufenden Fernsehkameras einen kleinen, vergifteten Geburtstagsgruß. Die Sozialdemokraten hätten in ihrer 140-jährigen Geschichte viele richtige Entscheidungen gefällt, sagte der FDP-Vorsitzende. Dazu gehöre vor allem die Bildung der sozialliberalen Reformkoalition im Jahre 1969.

Ja, die SPD bekommt in diesen Tagen ungebetene Ratschläge und versteckte Angebote von ihren Gegnern. Die Christdemokraten wie die Liberalen spekulieren viel und gern über ein vorzeitiges Ende der rot-grünen Koalition in Berlin, und für diesen Fall der Fälle laufen sich CDU und FDP schon mal warm. Das kann man getrost für politische Stimmungsmache halten, die immer dann einsetzt, wenn eine Regierung in der Krise ist. Aber Sorgen machen müssen sich SPD und Grüne trotzdem.

Die Sozialdemokraten sind momentan allerdings in einem so angeschlagenen Zustand, dass sie für die Probleme ihrer Regierung schon selbst sorgen. Da wirft der Bremer Bürgermeister Henning Scherf mit seiner Entscheidung, trotz einer klaren rechnerischen Mehrheit für Rot-Grün die große Koalition in seinem Land fortzusetzen, die Frage auf, ob eine solche große Koalition nicht auch ein Modell für den Bund wäre. Und der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Peer Steinbrück versetzt mit seinem Versuch, die rot-grüne Koalition in Düsseldorf mutwillig vor die Wand zu fahren, die SPD und die Grünen in Berlin in Alarmstimmung.

Am leichtesten fällt der SPD-Führung noch, die Große-Koalitionen-Debatte abzuwürgen. Bremen ist Bremen und mit dem Bund überhaupt nicht zu vergleichen – so sehen das am Tag nach der Wahl alle führenden Sozialdemokraten. Gerhard Schröder sieht darin sogar einen „erfreulichen Nebenaspekt“ von Bremen: Henning Scherf hätte mit seinem Sieg durch das Herausstellen der eigenen Leistung bewiesen, dass nicht jede Landtagswahl gleich eine vorgezogene Bundestagswahl bedeute. Das sei, so Schröder, doch auch dem Föderalismus dienlich. Den in Bremen dokumentierten Wunsch der Bevölkerung, die beiden großen Parteien sollten bei den entscheidenden Fragen des Landes kooperieren, wendet die SPD gegen die CDU. Die Union müsse sich entscheiden, sagt Generalsekretär Olaf Scholz, ob sie im Bundesrat weiter eine Sonthofen-Strategie fahren wolle, also alle Entscheidungen blockiere, in der Hoffnung, daraus politisches Kapital zu schlagen können. Für eine Zusammenarbeit brauche man keine förmliche Koalition.

Weitaus gefährlicher als diese Debatte ist für die Bundes-SPD die Krise der rot-grünen Koalition in Düsseldorf. Sollte Steinbrück in Düsseldorf tatsächlich mit der FDP zusammengehen, könnte sich die SPD-Linke dazu verführt sehen, ihre Zurückhaltung bei der Kritik an der Reformagenda 2010 aufzugeben. Schröders knappe Mehrheit im Bundestag geriete noch mehr in Gefahr. Außerdem würde ein Koalitionsbruch im größten Bundesland die ohne nicht gerade rosige rot-grüne Perspektive auf Bundesebene weiter verdüstern. SPD-Fraktionschef Franz Müntefering hat das in einem seiner berüchtigten kurzen Sätze deutlich gemacht: „Ein Koalitionsbruch nützt niemandem, in Düsseldorf nicht und in Berlin auch nicht.“

In Berlin verfolgen nicht wenige Sozialdemokraten den Kamikaze-Kurs von Peer Steinbrück mit Kopfschütteln. „Der führt sich auf wie ein Oberfeldwebel“, sagt einer, während ein anderer sein Urteil noch kürzer zusammenfasst: „Steinbrück hat ’ne Macke.“ Nachdem Schröder den Ehrgeiz von Steinbrück, Rot-Grün zu beenden, am Anfang wohl unterschätzt hat, greift er jetzt ein. Öffentlich findet Schröder natürlich diplomatische Worte. Er will Steinbrück nicht vor den Kopf stoßen. Aber am Donnerstag, wenn Schröder Steinbrück und NRW-Landeschef Harald Schartau im Kanzleramt empfängt, wird er ihm klar machen, was er will: die Fortsetzung der rot-grünen Koalition in Düsseldorf. Damit auch die rot-grüne Regierung in Berlin noch eine Zukunft hat.