ZUKUNFT DER TARIFVERTRÄGE
: Gefährliche Klauseln

Die Diskussion um den Flächentarifvertrag scheint ein Thema für Arbeitsrechtler und Funktionäre zu sein. Union und FDP fordern eine Abschaffung der Flächentarifverträge. Ein großes Lagerfeuer, um die Tarifverträge hineinzuwerfen, wünscht sich der Präsident des Bundesverbandes der Industrie Michael Rogowski.

Wie weit tarifliche Regelungen gehen, zeigt jedoch „Der Flächentarif unter Druck. Die Folgen von Verbetrieblichung und Vermarktlichung“.

Flächentarifverträge – die verbindlich für ganze Branchen gelten – legen für viele Beschäftigte Mindestbedingungen fest. Neben der Höhe des Lohnes zählen die Dauer des Urlaubsanspruches oder Weihnachtsgeld dazu. 63 Prozent der Beschäftigten sind in der Metall- und Elektroindustrie in Westdeutschland tarifgebunden. Diese relative Stabilität zeigt, so Herausgeberin Hilde Wagner, dass es „auch unter schwierigen Vorzeichen immer noch gelingt, gleiche Konkurrenzbedingungen für die Unternehmen und die Beschäftigten zu definieren und damit Wettbewerb untereinander zu begrenzen“. Allerdings ist die Wirkungskraft der Flächentarifverträge in den letzten Jahren geringer geworden. Dies hat mehrere Gründe.

Ein Grund sind – von den Gewerkschaften vereinbarte – Öffnungsklauseln, die Regelungen über Unternehmer und Betriebsräte auf betrieblicher Ebene ermöglichen. In den Tarifverträgen von über 80 Wirtschaftszweigen und Tarifbereichen für rund 15 Millionen Beschäftigte finden sich nach Angaben des WSI-Institutes der Böckler-Stiftung hunderte von Öffnungsklauseln. Sie beziehen sich etwa auf Gehälter, Arbeitszeitdauer oder Weihnachtsgeld. Die Entwicklung zur Verbetrieblichung der Tarifpolitik sehen – entgegen den von der CDU suggerierten Verhältnissen – Betriebsräte eher skeptisch. Knapp 38 Prozent der Befragten beurteilen diese Entwicklung „zwiespältig“, und 42 Prozent halten es für „generell problematisch“, weil dieser Trend zu einer noch stärkeren Belastung des Betriebsrats führt und eine wirkungsvolle Einflussnahme oft kaum noch möglich ist.

Ein weiterer Grund für die nachlassende Bindung der Flächentarifverträge in den Betrieben sind seit Jahren stattfindende tief greifende Umwälzungsprozesse.

Heutige Managementsstrategien zielen auf Dezentralisierung ab und nutzen „schlanke Produktionsmethoden“. Unternehmen richten sich stärker an den Absatzmärkten aus, die Beschäftigten werden direkt mit den Zwängen des Marktes konfrontiert. Beschäftigte sollen „Unternehmer im Unternehmen“ sein. Die Folgen werden klar skizziert: Leistungsdruck und Gesundheitsgefährdungen steigen enorm. Tarifliche Arbeitszeitregelungen werden nicht eingehalten, die Bezahlung wird – dank Öffnungsklauseln – verstärkt vom „unternehmerischen Erfolg“ abhängig.

Aber auch innerhalb der IG Metall wird seit der letzten Tarifrunde die „Erneuerung des Flächentarifvertrages“ diskutiert. Betriebsräte und Vertrauensleute großer Automobilkonzerne fordern, in der Tarifpolitik zukünftig stärker zwischen ertragsstarken und ertragsschwachen Betrieben zu differenzieren. Der vorliegende Band zeigt jedoch, welche Folgen diese „zweistufige Tarifpolitik“ haben wird: In einigen großen Betrieben werden wahrscheinlich höhere Tarifabschlüsse vereinbart. Und die Beschäftigten in kleineren Betrieben werden dann von der Einkommensentwicklung der Branche abgekoppelt.

Bereits die Tariföffnungsklauseln benachteiligen Beschäftigte in diesen Unternehmen. Es besteht die Gefahr, dass eine Spaltung der Arbeiterschaft durch die Tarifpolitik erfolgt. Gefahren für die Arbeits- und Lebensbedingungen gehen also nicht nur von Bestrebungen der Parteien, allen voran CDU und FDP, oder den Unternehmerverbänden aus.

MARCUS SCHWARZBACH

Hilde Wagner/Armin Schild (Hg.): „Der Flächentarif unter Druck. Die Folgen von Verbetrieblichung und Vermarktlichung“. VSA Verlag, Hamburg 2004, 246 Seiten, 17,80 Euro