Banales mit Hund

Alles geht so seinen Gang: Mariana Lekys Roman „Erste Hilfe“

Kennen Sie auch die „Noch-nach-Hause-Geher“? Das ist jene Spielform von Turnbeutelvergessern, die nie bei Freunden übernachten würden, egal wie lang die Party oder die Lerngruppe oder der Spieleabend geworden ist. Man bietet ihnen eine Matratze an, die Couch oder die linke Seite im eigenen Bett, aber sie ziehen es vor, doch noch den Heimweg anzutreten.

Sie lassen sich auf nichts ein und erleben deswegen auch nichts. Zu Hause setzen sie sich dann vielleicht noch einmal kurz an den Küchentisch und schreiben das auf, was sie nicht erlebt haben, beziehungsweise dass sie nichts erlebt haben. Das gibt dann so Literatur, in der nicht viel passiert, dafür einiges geredet wird, man in Wohngemeinschaften zusammensitzt und den Kaffee kalt und ein paar Gelegenheiten verstreichen lässt. Ein bisschen so Literatur wie die von Mariana Leky, die mit „Erste Hilfe“ ihr zweites Buch vorlegt.

Am Anfang ihrer Karriere ließ sich Leky ihr schriftstellerisches Talent und ihre Zielgruppe durch die erfolgreiche Teilnahme am Allegra-Literaturwettbewerb bestätigen, bevor sie 2001 ihren Debütband „Liebesperlen“ vorlegte. Darin durchschreitet eine namenlose Ich-Erzählerin, meist mit Hund an ihrer Seite, Episoden ihres Lebens in umgedrehter Chronologie – eine konsequente Reihenfolge, bewegte sich in diesem Leben doch ohnehin nichts voran.

Denn neben dem Nachhausegeher gibt es bei Leky auch noch die Arschtrittfiguren. Das sind junge Frauen, die mit Ende zwanzig an endlosen Magisterarbeiten stricken, sich nebenbei in einem Buchladen oder als Aushilfe in einer Kleintierbedarfshandlung ausbeuten lassen, und die irgendwie immer an den Falschen geraten. Um Sonderlinge zu sein, sind sie zu angepasst, als Lebensverweigerer zu wenig radikal. So möchte man ihnen einfach mal ordentlich in den Hintern treten, damit etwas vorwärts geht, mit ihrem Leben, ihrer Geschichte, weil man es kaum erträgt zu lesen, wie dann halt alles so seinen Gang geht und nichts geschieht.

Das wenige an Handlung bestreiten in „Erste Hilfe“ die drei Freunde Mathilda, Sylvester und die Ich-Erzählerin. Letztere leben zusammen in einer ganz toll unkonventionellen Beziehung, wo er immer auf ihren Haaren liegt und sie aber eigentlich kein Paar sind. Mathilda wiederum ist die Mutter aller Nachhausegeher. Zumindest bis zu dem Zeitpunkt, an dem sie sich nicht mehr traut, eine Straße zu überqueren, aus Angst vor dem Verrücktwerden, und deswegen permanent und mitsamt irischem Wolfshund bei ihren Freunden unterschlüpft. Wer nichts erlebt, kann sich auch nur vor dem Banalsten fürchten, was als Einzige die Therapeutin begreift, die Mathilda dann auch prompt ein wenig Aufregung verschreibt.

Dass diese Therapie schließlich wirkt, sollte sich auch die Autorin zu Herzen nehmen. Es muss ja nicht gleich ein saftiger Skandal mit Liebesgrüßen aus der SS-Uniform sein, aber sie sollte aufpassen, dass sie nicht trotz offensichtlicher erzählerischer und sprachlicher Begabung zur Arschtrittliteratin wird. SEBASTIAN DOMSCH

Mariana Leky: „Erste Hilfe“. Roman. DuMont, Köln 2004, 160 Seiten, 17,90 Euro