Bilder von „ganz unten“

Eine Fotoausstellung im Vringstreff zeigt Momentaufnahmen aus dem Leben von Kölner Obdachlosen, die in der Annostraße Zuflucht finden

VON Nicole Klemp

Ankommen kann man an den verschiedensten Orten: am Flughafen, am Urlaubsziel, auf der nächst höheren Stufe der Karriereleiter oder in der Realität. Auch die Semesterabschlussarbeit des Fotodesignstudenten Harald Schwertfeger setzt sich mit verschiedenen Arten des Angekommenseins auseinander – mit den Facetten des Ankommens von Obdachlosen.

Keine Sozialromantik

Für seine Semesterarbeit am Bochumer Institut für Bildende Kunst und Kunsttherapie besuchte der Student drei Wochen lang das Johanneshaus, ein Kölner Obdachlosenheim für wohnungslose Männer in der Annostraße. Dort, wo circa 300 Wohnungslose an 365 Tagen im Jahr mit Therapie, Rehabilitation, Wohnheim und Notschlafstelle versorgt werden, sah sich Harald Schwertfeger mit seiner Kamera um. Die aussagestarken Schwarz-Weiß-Aufnahmen, die dabei entstanden, präsentiert Schwertfeger derzeit in einer Ausstellung im Vringstreff, nicht weit vom Entstehungsort entfernt.

Die Fotografien sprechen von zwei Facetten des Ankommens obdachloser Menschen: Gemeint und gezeigt ist das Ankommen in einer Zufluchtsstätte wie dem Johanneshaus sowie das Angekommensein in einer gesellschaftlichen, sozialen Stellung, die gemeinhin als „ganz unten“ bezeichnet wird. So gibt es Momentaufnahmen der Notaufnahme des Hauses mit Schlafstätten, Kleiderkammer und Gepäckaufbewahrung und Porträts der Obdachlosen. Achtsam bewegte sich der Fotodesignstudent auf dem Innenhof und in den Räumen des Johanneshauses und fing prägnante und unscheinbare Momente ein. „Mir ging es bei dieser Arbeit um Momentaufnahmen, die sich aus einer komplexen Wirklichkeit herauslösen“, sagt Schwertfeger.

Die zwölf ausgewählten Fotografien haben daher nicht den Anspruch, die Realität darzustellen – sondern allenfalls zu ihr hin zu führen. Stellen die Exponate auch nur kleinste Teilstücke komplexer Lebenszusammenhänge dar, so vermitteln sie doch auf einfühlsame Weise einen Eindruck von der Atmosphäre im Haus und vom Leben seiner Bewohner. Keine Szene wurde dabei inszeniert. „Ich wollte keine Sozialromantik darstellen“, sagt der Fotograf, „sondern etwas von der Realität zeigen.“ Andererseits wollte er auch nicht das Unansehnliche, Dreckige und vielleicht auch für manchen Abstoßende dieses Angekommenseins ablichten. „Das Gegenstück zur Sozialromantik gleitet schnell in die Propaganda ab.“

Atmosphärische Details

So beschränkt sich die Arbeit auf das schlichte Bild frisch bezogener Betten im Schlafsaal, ordentlich aufgereihter und eingeräumter Kleidung auf Stangen und in Kartons mit Schildchen in der Kleiderkammer sowie sorgsam abgelegten Plastiktüten mit dem Hab und Gut der Obdachlosen im Regal der Gepäckaufbewahrung. Kleine persönliche und atmosphärische Details wie die Namensschilder an den Tüten oder die scheinbar achtlos stehen gelassene Bierflasche neben dem Bett stehen für individuelle Lebensgeschichten und bilden gekonnt die Überleitung zu den Porträts der Obdachlosen.

Die sind nur dann entstanden, wenn die Obdachlosen selbst auf Harald Schwertfeger zukamen und von ihm porträtiert werden wollten. „Als der Bann einmal gebrochen war, kamen immer mehr Männer auf mich zu“, sagt Schwertfeger. Mit kleinen Plakaten hatte er im Vorfeld zusammen mit den Mitarbeitern über sein Vorhaben informiert. Anfänglich fotografierte er nur die Räumlichkeiten des Hauses, kam so mit den Leuten ins Gespräch. Die Berührungsängste konnten so auf beiden Seiten ausgeräumt werden. Doch gab es auch Tage und Abende, an denen Schwertfeger ohne ein Negativ nach Hause ging. Aber gerade das ist Harald Schwertfegers Anliegen: Dass in einer Kultur der Bilderflut nicht schonungslose Direktheit und maßloser Eingriff, sondern vielmehr stille fotografische Zurückhaltung geübt wird.

Der Stolz der Porträtierten

Bis zum 12. April 2004 hängen die Arbeiten von Harald Schwertfeger noch in der Begegnungsstätte „Vringstreff“. Der Ausstellungsort wurde dabei nicht zufällig gewählt. Der Treff steht in enger Verbindung zum Johanneshaus. Die Bewohner der Einrichtung sieht man häufig in dem Café, das Obdachlosen und Sesshaften gleichermaßen offen steht. Bei den Besuchern stieß die Ausstellung bisher auf große positive Resonanz. „Es ist die erste Ausstellung, die wir zeigen, die das Leben unserer Besucher selbst zum Thema macht“, sagt Dirk Berger, pädagogischer Mitarbeiter im „Vringstreff“. Viele der Besucher finden das gut und richtig und sind stolz, selbst abgebildet zu sein oder die abgebildeten Personen und Räume zu kennen. Es ist schließlich ein Stück ihre Lebens. Hier sind sie „angekommen“.

Vringstreff, Im Ferkulum 42, Mo-Do 11.30-17 Uhr, Fr 9-12 Uhr, Tel. 0221 / 278 56 56