Vergesst diese Ökumene!


Warum nicht ein Kirchentag zu Arbeit und Muße, zu Konsum und Kapital?

von BERNHARD PÖTTER

Die Enzyklika „Ecclesia in Eucharistia“ war ein Wunder ganz nach dem Geschmack des Vatikans: gleichzeitig ein Schuss vor den Bug und ein Volltreffer. Denn das päpstliche Rundschreiben von April bremste alle Bemühungen um eine wirkliche Gemeinschaft von katholischen und evangelischen Christen auf diesem Kirchentag in Berlin – und versenkte gleich noch all die Hoffnungen auf eine Annäherung der Schwesterkirchen für die nächsten Jahre. Gleichzeitig dient „Ecclesia in Eucharistia“ auch noch als Nebelwerfer: Sie lenkt von den wirklichen Problemen und Aufgaben der Christen in Deutschland ab.

Das katholische Njet zum gemeinsamen Abendmahl war zu erwarten. Verlassen von all den guten Geistern vom 17. Oktober 1996, als es zusammen mit dem Deutschen Evangelischen Kirchentag offiziell den Wunsch nach dem ökumenischen Mahl geäußert hatte, ist das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) unter dem Druck der Deutschen Bischofskonferenz und des Vatikans eingeknickt. Nun wird es auf dem Kirchentag kein gemeinsames Mahl geben. Die Debatte um protestantische Mutlosigkeit und katholische Verbohrtheit wird den Kirchentag beherrschen.

Die „Initiative Kirche von unten“ (IKvU) und die katholischen Reformer von „Wir sind Kirche“ werden ihr berechtigtes und dringend nötiges Anliegen propagieren und die Gelegenheit zur Selbstdarstellung nutzen. Und alle werden jammern, dass die deutschen Katholiken wieder einmal eine historische Chance vertun.

Das alles stimmt. Aber es bringt die Debatte keinen Schritt weiter. Denn die Fixierung auf die Ökumene behindert den Blick darauf, was Christen in Deutschland tun müssten, um ihrer Verantwortung gegenüber Gott und den Menschen gerecht zu werden. Nämlich sich gemeinsam und viel ernsthafter als bisher für Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung einsetzen, wie sie es selbst immer wieder fordern. Und nicht an einem kirchenpolitisch längst überholten Nebenwiderspruch ihre Ressourcen an Zeit, Menschen und Engagement vergeuden. Deshalb, Papisten und Lutheraner: Vergesst diese Ökumene! Entweder ihr habt sie ohnehin schon erreicht. Oder ihr habt Besseres zu tun.

Denn theologisch müsste die Trennung begründet werden – und nicht der Versuch, die Trennung zu überwinden. Und eigentlich sind sich alle einig, dass „die Kirchenspaltung ein größeres Ärgernis ist als die Interkommunion“, wie es der junge Theologe Karl Lehmann 1970 formulierte. Doch die römische Kirche hat sich mit ihrem politisch so progressiven und theologisch so reaktionären polnischen Papst in die Wagenburg der Rechthaberei zurückgezogen. Schon in der Enzyklika „Dominus Jesus“ wurde im Jahr 2000 den anderen christlichen Gemeinschaften der Charakter einer wirklichen Kirche abgesprochen. Der Papst betitelte zwar eine weitere Enzyklika mit dem biblischem Gebot der Einigkeit „ut unum sint“, bremst aber umso stärker.

Wieder einmal sind die römischen Oberhirten von ihren deutschen Schäfchen meilenweit entfernt. Erstens weiß kaum noch ein Kirchenbesucher heute, was Katholiken und Protestanten tatsächlich noch trennt (siehe Kasten). Und zweitens verstoßen katholische Gemeinden regelmäßig und mit bestem Gewissen gegen das Verbot, evangelische Glaubensbrüder und -schwestern an der Kommunion teilhaben zu lassen.

Ähnlich wie bei der offiziellen katholischen Sexualmoral hat sich auch bei der Ökumene die katholische Theologie ein Wolkenkuckucksheim gezimmert, in dem heftig gefachsimpelt und auf hohem Niveau disputiert wird. Das Volk macht derweil, was ihm sinnvoll erscheint, und ist glücklich damit. Wann genau nun welcher Pfarrer welchem Gläubigen welche Hostie reichen darf, interessiert tatsächlich im christlichen Alltag immer weniger.

Und doch beschäftigen sich damit die kirchlichen Heerscharen: päpstliche Kommissionen, protestantische Synoden, theologische Institute, internationale Kongresse, Pfarrgemeinderäte, Kirchentage. All das frustiert die Menschen in diesen Gremien und trägt zum Verlust an Glaubwürdigkeit der Kirchen bei. Vor allem aber verschlingt es die wertvollsten Ressourcen der kirchlichen Gemeinschaften: Geld, Zeit und Planstellen.

Genau diese Verschwendung können sich die christlichen Kirchen in Deutschland aber nicht mehr leisten. Denn die Mittel, die in der fruchtlosen Ökumene-Debatte verpulvert werden, fehlen an allen Ecken und Enden:

– Jedes Jahr verlassen 100.000 Menschen die Gemeinden, weil sie den Kirchen nicht mehr trauen und ihnen nichts mehr zutrauen.

– Es fehlt eine christliche Position zum aktuellen radikalen Umbau des deutschen Sozialstaats. Bei der Erfindung der sozialen Marktwirtschaft haben die Kirchen Pate gestanden; bei ihrer Totalrevision schweigen sie.

– Beide Kirchen haben sich im Irakkrieg frühzeitig und deutlich positioniert. Doch eine andauernde und politisch einflussreiche Lobby für gewaltfreie Politik sind sie nicht. Massive Interessenvertretung wie bei der Abtreibung oder in der Migrationspolitik betreiben weder Katholiken noch Protestanten. In der Kirchengeschichte wurden immer wieder Orden gegründet, um besonderen Problemen zu begegnen: Bildung, Krankenpflege, Gegenreformation. Einen Friedensorden, der gewaltfreie Konfliktlösungen trainiert und propagiert, sucht man bisher vergeblich.

– Viele Kirchengemeinden engagieren sich im fairen Handel oder beim Umweltschutz. Doch bei der Antwort auf globale Zukunftsfragen wie Bevölkerungsentwicklung, Energiepolitik oder Ernährungssicherung spielen die Christen keine eigene Rolle. Die Einsicht, dass das kapitalistische Wirtschaftssystem von heute ebenso in die Katastrophe führt wie das sozialistische von gestern, formuliert lautstark nur Papst Johannes Paul II. Doch beim UN-Gipfel zur nachhaltigen Entwicklung in Johannesburg im letzten Jahr war von der Delegation des Vatikans nichts zu sehen und zu hören.

– Den Schlachtruf: „Eine andere Welt ist möglich“ haben die Kirchen an die Globalisierungskritiker abgetreten. In den Debatten um Familienpolitik, um das Recht auf ein menschenwürdiges Leben und Sterben oder die Werte, die unsere Gesellschaft zusammenhalten, gelingt es vor allem der katholischen Kirche kaum, sich aus der muffig-konservativen Ecke zu lösen. Beiden Kirchen fehlt eine Idee, wie Politik nach biblischen Maßstäben organisiert werden kann – vor allem nach dem Ende der unheiligen Allianz der Katholiken mit der CDU.

Es fehlt eine christliche Position zum radikalen Umbau des Sozialstaats

– Die Diskussion um die christliche Ökumene versperrt auch den Blick auf die weitaus dringendere Verständigung mit den anderen Religionsgemeinschaften in der Welt. Der so genannte interreligiöse Dialog der Christen mit Juden, Muslimen, Hinduisten, Buddhisten, anderen Religionen und – zumal in Deutschland – den Nichtgläubigen könnte gerade die Bedrohung durch islamische und christliche Fundamentalisten entschärfen. Doch der Tübinger katholische Theologe Hans Küng, Vordenker des „Projekts Weltethos“, das eine Verständigung der Weltreligionen anstrebt, spielt auch auf dem Kirchentag nur eine Nebenrolle.

Es gibt für Christen in Deutschland viel zu tun. Die Beschäftigung mit den Details der Ökumene gehört nicht dazu. Die Gläubigen sollten als Katholiken und Protestanten das Brot miteinander brechen. Und sich nicht davon stören lassen, wenn es nicht gleich und überall zu einer christlichen Einheitsfront kommt.

Denn niemand weiß, wohin eine engere Verbindung von katholischer und evangelischer Kirche nach 500 Jahren der Trennung führen soll. Und wer sagt, dass das christliche Gebot zur Einheit der Gläubigen bedeutet, dass sie alle einig in einer einzigen Kirche sind? Wenn es kaum noch die Glaubensinhalte sind, die die Konfessionen trennen, sondern vor allem die erlebten und erinnerten Wohlfühl-Faktoren, dann wird man kein Einheits-Christentum planen können. Warum sollten Orthodoxe, Katholiken, Lutheraner, Calvinisten, Methodisten und Baptisten nicht gleichberechtigte Tochterfirmen der himmlischen Zentrale sein? In der Migrationspolitik heißt das Ziel Multikulti. Wie wäre es mit Multireli?

Der ökumenische Kirchentag ist eine gute Idee. Aber er sollte nicht der erste, sondern der letzte seiner Art sein. Das nächste Treffen (selbstverständich ökumenisch) braucht von Deutschlands Christen keine Nabelschau, sondern die Einlösung eines alten Versprechens: das Salz der Erde zu sein, das dem Einheitsbrei des Alltags Würze verleiht.

Statt einer Mammut-Veranstaltung wären thematische Schwerpunkte vielleicht dienlich: Warum nicht einen Kirchentag zu Armut und Reichtum (auch der Kirchen), ein Treffen zu Arbeit und Muße, zu Konsum und Kapital, zur Suche nach gemeinsamen Werten der deutschen Gesellschaft, zu den aktuellen Formen von Spiritualität und Unglauben?

Theologen sind sich heute einig: Wenn Jesus Christus etwas auf keinen Fall gewollt hat, dann war es die Gründung einer Kirche. Eine Institution mit Herren und Dienern, mit Steuern und Gesetzen, mit Kommissionen und Experten, die den Menschen vorschreiben, wie sie zu leben haben. Und sicherlich wollte der Begründer des Christentums nicht, dass seine Jünger sich auch noch nach 2.000 Jahren darüber streiten, wie viele Millimeter dogmatischer Gedanken sie nun trennen. Und darüber versäumen, gemeinsam zu arbeiten und gemeinsam zu feiern.