Letzter Ausweg Kirchenasyl

Erfolgreiches Kirchenasyl macht selten Schlagzeilen. Dabei konnte in zwei Drittel aller Fälle bislang eine Abschiebungaus Deutschland verhindert werden. Wie jüngst in Brandenburg: der Fall des Kongolesen José Ndualu und seiner Familie

von HEIKE KLEFFNER

Ginge es nach Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm (CDU), wäre José Ndualu im Januar in die Demokratische Republik Kongo abgeschoben worden. Der letzte Ausweg für den 34-Jährigen, der mit seiner Ehefrau und zwei Kindern seit zwölf Jahren in Brandenburg an der Havel lebt: das Kirchenasyl. 69 Tage versteckten sich José und Clara Ndualu mit dem 6-jährigen Glody und dem 3-jährigen Rudolf in der St.-Gotthardt-Gemeinde in Brandenburg. „Ohne ein Netzwerk von Unterstützern wäre das unmöglich gewesen“, sagt Anca Güntsch. Die 46-Jährige lernte das kongolesische Ehepaar vor 6 Jahren zufällig im Standesamt kennen. „Seitdem gehört die Familie zum Freundeskreis.“ Und ist so weit integriert, dass 1.500 Einwohner der Havelstadt einen Appell für ihr Bleiberecht unterschrieben. „Frisöre haben ihren Kundinnen die Listen unter der Trockenhaube in die Hand gedrückt“, sagt Anca Güntsch.

Währenddessen harrten die Ndualus in ihrem Versteck aus. Eingeschüchtert, verängstigt und immer depressiver. „Wir mussten für alles um Hilfe bitten“, sagt José Ndualu. Zum Einkaufen, um die Miete für ihre leer stehende Wohnung zu überweisen oder die Kinder zum Spielplatz zu bringen. Auch auf den „Ernstfall“ waren Anca Güntsch und Pfarrer Christoph Vogel vorbereitet. Wie der aussehen würde, war allen Beteiligten klar. Zwei Fälle in Brandenburg: Anfang des Jahres hatten Polizeibeamte auf der Suche nach einem Vietnamesen und seinem Sohn das Pfarrhaus der evangelischen Gemeinde in Schwante durchsucht. Im April nahmen Polizisten eine fünfköpfige kurdische Familie im Kirchenasyl im Tröbitz fest und trennten die drei Kinder von den Eltern.

Auch im Fall der Ndualus, deren Asylanträge letztinstanzlich abgelehnt sind, zog das Potsdamer Innenministerium alle Register. Die Staatsanwaltschaft leitete ein Ermittlungsverfahren gegen Pfarrer Vogel ein. Geschützte Unterlagen aus dem Asylverfahren wurden via Focus an die Öffentlichkeit lanciert, José Ndualu als Vergewaltiger denunziert. Als Brandenburgs Bürgermeister Norbert Langerwisch (SPD) nach wochenlangen Verhandlungen zwischen Ausländerbehörde und Kirche ein Machtwort zugunsten der Ndualus sprach, geriet er unter Beschuss aus Potsdam. Dabei hatte Langerwisch lediglich darauf gedrängt, dass die kongolesische Familie eine erneute Duldung erhält. „Gültig bis zum 31. Oktober 2003“, steht unter dem Stempel der Ausländerbehörde, mit dem José Ndualu das Kirchenasyl vor wenigen Wochen verlassen konnte. So wie zwei Drittel aller 600 Kirchenasylfälle in den letzten zehn Jahren.

Nun muss die Ausländerbehörde erneut über eine dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung nach der „Altfallregelung“ entscheiden. Ein erster Antrag der Ndualus war im Oktober 2001 abgelehnt worden. Zu Unrecht, wie Andrea Güntsch überzeugt ist. Denn die Ndualus erfüllen alle Bedingungen für „Altfälle“: integriert, ohne Vorstrafen, eigene Wohnung und Jobs.

1.700 Flüchtlinge leben länger als fünf Jahre „geduldet“ in Brandenburg. Bundesweit sind es 230.000. Anca Güntsch und José Ndualu geht es längst um mehr als „den eigenen Fall“. Sie haben Kontakt zu Pro Asyl und zum Flüchtlingsrat Brandenburg. Am 6. Juni organisiert Anca Güntsch unter dem Motto „Hier geblieben“ eine Demonstration. „Für Bleiberecht und gegen Abschiebung, denn Kirchenasyl kann immer nur eine Notlösung sein.“