Die Restriktionen fallen Stück für Stück

taz-Serie „Auf Schröders Agenda“ (Teil 2): Frank Hübner, Softwareentwickler, 42, Vater zweier Söhne. Seit 1. Januar ist der Ostberliner arbeitslos. Mittlerweile würde er seine Ansprüche an einen Job nach unten schrauben. Aber der Markt ist eng. Die Agenda 2010 findet er fast schon zynisch

„Warum die Vermögensteuer abgeschafft wurde, ist mir schleierhaft“

von RICHARD ROTHER

Der gläserne Schreibtisch im Wohnzimmer ist so aufgeräumt, dass es schwer fällt, sich vorzustellen, an ihm werde gearbeitet. Aber der Softwareentwickler Frank Hübner, ein ordentlicher Mann, arbeitet daran – auch wenn er arbeitslos ist. Im Moment tüftelt er, wenn er nicht gerade Bewerbungen schreibt, an einer Software, mit der sich der Stammbaum der Familie darstellen lässt. Ein inniger Wunsch aus der Verwandtschaft. „Aber auf die Dauer wird das auch langweilig“, sagt der 42-Jährige.

Hübner will wieder arbeiten, so wie er es sein Leben lang getan hat. Dafür ist der Familienvater, der mit seiner Frau und den beiden halbwüchsigen Söhnen in einer modernen 90er-Jahre-Neubauwohnung in Hohenschönhausen wohnt, jetzt sogar bereit, von einigen „Restriktionen“ bei der Jobsuche abzugehen. Seine Restriktionen bisher: Die Stelle sollte in Berlin sein, angemessen bezahlt und seiner Qualifikation entsprechen.

Seit 1. Januar ist Hübner ohne Job – ein „erst einmal deprimierendes Gefühl“. Zuvor hat er mehrere Jahre in einer Softwarefirma gearbeitet, die hauptsächlich Komponenten für Telekommunikationsprojekte von Siemens entwickelte. Hübner war dabei zuletzt Fachbereichsleiter. Sein Pech: Weil die Firma stark abhängig von einem Auftraggeber war, musste sie in Schwierigkeiten geraten, als immer weniger geordert wurde. Den Grund dafür sieht der Ostberliner, der immer wieder das Wort „Überlebenskampf“ benutzt, klar vor Augen. Um nicht eigene Mitarbeiter entlassen zu müssen, gingen weniger Aufträge nach außen – die Dienstleister stehen am Ende der Kette. Verbittert wirkt Hübner nicht, er sieht die Zwänge des Marktes. Zwar hätte seine Firma von ihrer „Monokultur“ wegkommen müssen, aber das sei ein schwieriges Unterfangen gewesen. Der Versuch, als Softwarezulieferer für Multimedia-Agenturen ein zweites Standbein aufzubauen, scheiterte, als die ganze Branche zusammenbrach.

Die Arbeitslosigkeit begreift der Projektentwickler aber auch als „Chance für einen Neuanfang“. Der Mann in Jeans, Birkenstocks und Freizeithemd strahlt Optimismus und Realismus aus. Er hat einen ausgeklügelten, strategischen Plan, seine Arbeitslosigkeit zu überwinden: Im ersten Quartal hat er sich auf Projektleitertätigkeiten beworben, im zweiten die Suche auf normale Mitarbeit erweitert, und im dritten wird er über den Fall weiterer Restriktionen nachdenken.

Genutzt hat die Strategie bisher nicht viel, obwohl er bereits zu mehreren Bewerbungsgesprächen eingeladen wurde. „Der Markt ist sehr eng“, weiß Hübner. Die Firmen könnten sich diejenigen aussuchen, deren Qualifikation zu 100 Prozent stimme. Passgenau zu landen ist in einer hoch spezialisierten Branche schwierig.

So bleibt Hübner zunächst Hausmann. Und sieht, was seine Frau, die als medizinisch-technische Angestellte täglich zur Arbeit nach Charlottenburg pendelt, zu Hause leistet. Ihr könne er jetzt viel besser unter die Arme greifen, sagt er: „Freitag ist großer Putztag.“ Und seinem großen Sohn, dem 15-Jährigen, hilft er beim Schreiben von Bewerbungen. „Übung habe ich ja dabei“, sagt Hübner lachend. Die beiden Söhne gehen, wie vor Jahren die Eltern, auf die Sportschule, sind aktive Schwimmer. Der Vater glaubt zwar nicht, dass Olympioniken aus ihnen werden, aber man müsse den Kindern am Nachmittag etwas bieten. Und: „Es ist gut, wenn sie lernen, auf ein Ziel hinzuarbeiten.“

Hübner ist ein ostdeutscher Akademiker, der im Westen angekommen ist, mental und sozial. So wie es einige seiner Generation geschafft haben – nicht umsonst ist die Arbeitslosigkeit in den Ostberliner Außenbezirken, in denen überwiegend gut qualifizierte Fachkräfte leben, geringer als in anderen Quartieren. Hübner hat Elektrotechnik studiert, später in einem technischen DDR-Forschungsinstitut gearbeitet. Als nach der Wende mehrere hundert Mitarbeiter gehen mussten, konnte Hübner bleiben. Er lernte, spezialisierte sich, wechselte schließlich in die Softwarebranche. Dem täglichen „Überlebenskampf“ hat er sich bewusst gestellt und ihn bisher gut gemeistert: Die Wohnung der Hübners ist groß, hell, komfortabel eingerichtet, und im Sommer leistet sich die Familie den klassischen Jahresurlaub, fährt mit dem Auto in eine Ferienwohnung ins Ausland. Nur in diesem Jahr wird es mit dem Urlaub nicht klappen; die Entlassung des Winters wirft einen ersten, langen Schatten in den Sommer.

In Hübners Leben gibt es zwei zentrale Säulen: Beruf und Familie. Die politischen Veränderungen sind ihm erst einmal fern, aber nicht fern genug, sich keine Meinung zu bilden. Die Agenda 2010, die unter anderem Arbeitslosen- und Sozialhilfe auf Sozialhilfeniveau zusammenlegen will, findet der Ostberliner „beinahe schon zynisch“. Wenn es keine Jobs gebe, könne man bei den Arbeitslosen so viel kürzen, wie man wolle. „Das ändert nichts.“ Es gehe nur darum, Geld zu sparen. Gerecht findet Hübner das nicht. Immer mehr Beamte würden frühpensioniert, während gleichzeitig das Rentenalter heraufgesetzt werden solle. Zudem sei die Steuerlast für Unternehmen stetig gesunken. „Und warum die Vermögensteuer abgeschafft wurde, ist mir völlig schleierhaft.“

Dass ihn die sozialen Einschnitte persönlich treffen könnten – diesen Eindruck macht der realistische und reflektierte Mann nicht. Auf Arbeitslosenhilfe angewiesen zu sein, ist für ihn schon nach der jetzigen Regel der worst case, den es unbedingt zu vermeiden gilt. Die Chancen dafür scheinen, trotz allem, nicht schlecht zu stehen. Vielleicht unterscheidet sich Hübner darin von vielen anderen Jobsuchenden. Deshalb kann die Arbeitslosigkeit auch eine Zeit der Besinnung sein – „wenn sie vorübergehend ist“. Mit Sorge blickt Hübner aber in die fernere Zukunft. Was passierte eigentlich, wenn er jenseits der 50 arbeitslos würde? Er kennt die Antwort: „Wenn man bis dahin nicht untergekommen ist, wird es ganz schwierig.“

Für die nahe Zukunft hat Hübner, auf dessen Küchentisch ein Java/XML-Programmierbuch liegt, wieder etwas in Aussicht – wenn eine „weitere Restriktion“ fällt. Die alte Firma hat angerufen, gefragt, ob er bei einem Projekt mitarbeiten würde: als freier Mitarbeiter oder auf Zeit beschäftigt, für weniger Geld.

Der Hohenschönhausener wird es wahrscheinlich tun, für ihn wäre es eine „einfache nüchterne Überbrückung“. Denn die Chancen, einen neuen Job zu finden, verschlechtern sich mit jedem Monat, den die Arbeitslosigkeit anhält. Hübner hat kaum eine Wahl: „Ich steh mit dem Arsch an der Wand.“