Aberwitzig, absurd, brachial

Sozialsenatorin Heidi Knake-Werner (PDS) hält Kürzungen bei Sozialhilfe für Populismus. Absenkung der Regelsätze sei inakzeptabel. Millionen für Flughafen, Streichen bei Bedürftigsten: Das geht nicht

Interview ROBIN ALEXANDER
und SUSANNE LANG

taz: Frau Knake-Werner, geht es den Sozialhilfeempfängern in Berlin zu gut?

Heidi Knake-Werner: Nein. Viele wären froh, wenn sie anders leben könnten.

Der rot-rote Senat erweckt aber diesen Eindruck.

Ich glaube nicht, dass der gesamte Senat diesen Eindruck erweckt. Ich will aber nicht leugnen, dasss es diese Position auch gibt. Das Problem ist: Wir haben immer mehr Menschen, die mit Niedrigstlöhnen für ihre Arbeit kaum über Sozialhilfeniveau leben. Deshalb meinen einige, es wäre gerecht, auch die Sozialhilfeempfänger zusätzlich zu belasten.

So argumentiert der Regierende Bürgermeister.

Ja, bisweilen auch Klaus Wowereit. Damit nimmt er eine in der Öffentlichkeit weit verbreitete Meinung auf. Aber es ist aberwitzig, Sozialhilfeempfänger schlechter zu stellen, nur weil es nicht gelingt, Niedriglohnbereiche zu vermeiden und nach Tarif zu bezahlen. Es ist unlogisch und ziemlich populistisch, in so einer Situation zu sagen: Jetzt müssen wir auch an die Sozialhilfe ran.

Was meinen Sie mit populistisch?

Ich halte das für Symbolpolitik. Der Armutsbericht weist sowohl arbeitende Arme aus als auch Arme, die Sozialhilfe beziehen. Erstere sollen wohl beruhigt werden, indem man Letztere schlechter stellt.

Finanzsenator Thilo Sarrazin meint, in Berlin würden Sozialhilfeempfänger so verwöhnt, dass Menschen aus Brandenburg in die Stadt ziehen, nur um hier zu kassieren.

Das ist doch eine absurde Spekulation. Um Sarrazins Lieblingsvergleich zu bemühen: In Berlin werden real 12 Prozent weniger Sozialhilfe gezahlt als in Hamburg. Deshalb zieht er in diesem Fall wohl Guben als Vergleichsstadt für Berlin heran.

Die Finanzverwaltung hat ausgerechnet, man könne 33 Millionen Euro sparen, wenn man die Sozialhilfe auf Brandenburger Niveau senkt.

Die Regelsätze sind ein Rechtsanspruch und für mich ist eine Absenkung inakzeptabel.

Ab 1. Juli hat der Senat die Möglichkeit, aus der bundesweiten Anhebung der Sozialhilfe auszusteigen. Der Finanzsenator hat dies empfohlen.

Die Fachsenatorin bin ich. Sarrazins Vorpreschen in dieser Frage hat bisher auch im Senat keine Unterstützung gefunden.

Sarrazin hat noch mehr Kürzungsvorschläge gemacht.

In einem Brief an die Bezirke, mit dem ich konfrontiert wurde.

Gehen wir einige Punkte durch: die Sozial-Karte für die BVG …

Ginge es ums Sparen allein, wäre es ein Unsinn, diese Karte abzuschaffen. Sozialhilfeberechtigte haben einen Anspruch auf Mobilitätshilfe. Soll denn jeder für jeden Fahrschein ins Sozialamt gehen? Man kann darüber reden, den Eigenbeitrag der Sozialhilfeempfänger an dieser Monatskarte zu erhöhen.

Die Bekleidungspauschale …

Hier liegen wir im Vergleich zu anderen Großstädten ziemlich hoch. Eine Lösung könnte sein, dass wir die Bekleidungspauschale für Kinder ein wenig anheben und bei Erwachsenen leicht absenken. Die Summen, die Sarrazin dort holen will, sind allerdings nicht drin.

Die Krankenhilfe …

Meine Position ist: Die Sozialhilfeempfänger sollen in die gesetzliche Krankenversicherung. Das neue Gesundheitsstrukturreformgesetz macht das auch möglich. Das führt in der Tat zu Einsparungen in den Bezirken.

Sarrazin sagt: Wer Kürzungen abwehren will, muss andere Kürzungen vorschlagen.

Einsparungen sind möglich, wenn wir über einen längeren Zeitraum sinnvolle Veränderungen vornehmen. Eine ganze Fülle der Leistungen, die mein Ressort finanziert, sind vertraglich gebunden. Unser Vertrag mit der Liga der Wohlfahrtsverbände etwa hat ein Volumen von 18 Millionen Euro. Sarrazin möchte daraus sofort 6 Millionen herausstreichen. Das wird nicht gehen. Ähnliches gilt für den Drogenbereich und für die AIDS-Hilfe.

Mit der Agenda 2010 wird die Arbeitslosenhilfe auf Sozialhilfeniveau gesenkt. Auch noch die Sozialhilfe zu drücken ist eine Berliner Besonderheit.

Agenda 2010 und Kürzungen der Sozialhilfeausgaben: das geht nicht zusammen. Die Gefahr ist, dass mit jeder Absenkung beim Arbeitslosengeld oder bei der Arbeitslosenhilfe die Sozialhilfeausgaben steigen.

Aber es ist doch eine Entlastung der Kommunen geplant.

Die wäre auch bitter nötig. Mit der Kürzung der Dauer des Arbeitslosengeldbezugs und der Reduzierung der Arbeitslosenhilfe auf Sozialhilfeniveau sollen Milliarden gespart werden – ein Großteil zulasten der Betroffenen direkt. Der Rest verbleibt bei den Ländern und Kommunen. Ob es hier einen Ausgleich geben wird, weiß ich heute noch nicht. Deshalb nehme ich erst einmal an: Alles, was dort passiert, belastet uns zusätzlich. Dieselben Sozialdemokraten, die jubelnd die Agenda 2010 begrüßen, sollen mir also nicht erklären, dass ich die Konsequenzen ihrer Maßnahmen im Sozialetat einsparen soll.

Die SPD argumentiert, mit der Umsetzung des Hartz-Konzepts würden die Sozialhilfe zahlenden Bezirke stark entlastet.

Abwarten. Die Auswirkung von Hartz ist die zweite große Unbekannte: Es kann sein, dass mein Haushalt und die Haushalte der Bezirke durch die geplanten Umstrukturierungen enorm entlastet werden. Wenn tatsächlich alle erwerbsfähigen Sozialhilfeempfänger in die Obhut der Bundesanstalt für Arbeit wechseln würden, wären wir an den Kosten für sie nicht mehr beteiligt. Ich betone: wenn.

Für diese Hoffnung sollen Sie schon jetzt zahlen.

Genau. Ein Beispiel: In meinem Haushalt steht eine zweistellige Millionensumme für Hilfen zur Arbeit. Die kann ich doch nicht jetzt schon herausnehmen, nur im Vertrauen darauf, dass der Bund Hartz in diesem Punkt rechtzeitig umsetzt! Das Risiko ist zu groß. Die Hilfen zur Arbeit sind nur disponibel, wenn wir verbindlich festlegen, wie wir diese notwendigen Maßnahmen finanzieren, falls Hartz nicht so kommt wie versprochen.

Rechtfertigt die besondere Berliner Haushaltsmisere nicht auch besondere Einschnitte beim Sozialen?

Es ist ja nicht so, dass es in diesem Bereich nicht schon Einschnitte gab, aber nicht mit brachialer Gewalt wie jetzt diskutiert. Für vieles mag unsere Wahnsinnssituation ein Argument sein, für alles nicht. Ich fühle mich in der Verantwortung, auf die soziale Balance zu achten. Nehmen wir ein Beispiel: Wir beschließen im Parlament, der Flughafen wird gebaut, die Millionen stehen schon zur Verfügung. Und am selben Tag sprechen wir über die Leistungskürzungen für die Bedürftigsten. Das, finde ich, geht nicht.

Braucht eine Hauptstadt keinen modernen Flughafen?

Natürlich braucht sie ihn. Ein Standortfaktor ist aber auch die soziale Balance in dieser Stadt. Es geht nicht, dass für den Flughafen alles an sozialer Versorgungsstruktur über den Deister geht.

Wowereit will den Flughafen über Kommunalkredite finanzieren, ohne den Haushalt zu belasten.

Für solche Projekte gab und gibt es in Berlin immer Bürgschaften. Später werden wir damit zu immer weiteren Zuschüssen erpresst.