Wo warst du, Nero –

und vor allem: Wo waren deine hungrigen Löwen, als Ende Mai die Christen in Berlin einfielen und in vielfacher Divisionsstärke durch die Rabatten trampelten? Als sie tagelang ungebeten wehrlose Ungläubige anfrömmelten und selig-duselig in sich hinein- und in die Welt hinausstrahlten?

Als, bunt wie die kleine Welt von Benetton, mit Brotschuh und Sandale am Fuß, dem lila Dreieckstuch um den Hals und dem meist glockenrockumwogten Der-reicht-auch-für-zwei-Hintern, ihre Frauen mit sakralem Singsang den weniger abergläubischen Bewohnern dieser Erde einen Vorgeschmack der Hölle zelebrierten?

Als die Kritischen unter ihnen Kabarett aufführten und Kolping-Opern verbrachen, als Gruppen, die „Ein Stück weit“ oder „Steine weinen“ heißen, unschuldige Instrumente folterten?

Als hinter dem tausendfachen Christenlächeln der faulige Mundgeruch der Inquisition wehte, ausgeatmet von vertrocknet-greisen Käppchenträgern, die grienend „den Fall der Mauern und den Sturz gefährlicher Götzenbilder“ bejubelten, mit „geistiger Einkehr“, „Besinnung“, „Nachdenklichkeit“ und „Freude“ drohten und aller Welt den „ethischen Lebensvollzug“ nahe legten – wahrscheinlich in der Lebensvollzugsanstalt?

Wo warst du, Nero, mit deinen netten wilden Tieren, als die Rucksäcke des Herrn, die Ein-Mann-Gummizellen marschierten, als kein Schäfchen ungeschoren und kein Fötus ungeboren blieb?

Ich habe dich und deine vierbeinigen Freunde sehr vermisst. Wenigstens ein paar Uniformträger hättest du mit Weihwasserwerfern und gezücktem Opferstock vorbeischicken können.

Ziemlich enttäuscht: Dein Wiglaf Droste (nach Diktat selig gesprochen)