Das Chaos in Bagdad ordnet sich

Das Schlimmste scheint für die Einwohner der irakischen Hauptstadt endlich vorbei zu sein. Das Alltagsleben kommt langsam wieder in Gang

„Vielleicht haben die Amerikaner ja dazugelernt“

aus Bagdad INGA ROGG

Trostlose Straßenzüge mit heruntergekommenen Häuserfassaden, von riesigen Militär- und Sicherheitsarealen in den Würgegriff genommen – beinahe 25 Jahre Saddam-Diktatur und zwölf Jahre UN-Sanktionen haben Bagdad in eine schäbiges Abziehbild großherrlicher Allmacht verwandelt. Die Schaltzentralen der Despotie liegen in Trümmern, was bei vielen Bewohnern der Stadt immer noch Erstaunen erweckt. Den Rest gaben der Tigrismetropole in den vergangenen Wochen die Plünderungen durch organisierte Räuberbanden, denen eine scheinbar völlig überforderte Besatzungsmacht fast tatenlos zusah.

Seit dem Amtsantritt des neuen amerikanischen Zivilverwalters, Paul Bremer, vor zwei Wochen sind die Amerikaner offebsichtlich entschlossener, das Sicherheitsvakuum auszufüllen. Mittlerweile zeigen die US-Truppen deutlich mehr Präsenz, die Soldaten werden sukzessive durch die Militärpolizei abgelöst, die künftig in allen Quartieren auch nachts auf Streife gehen sollen. Auf den Märkten der Stadt kehrt allmählich das Leben zurück. Vor einem Geschäft laden Männer frisch importierte Kühlschränke und Waschmaschinen ab, gegenüber wird ein Lastwagen mit Plastikstühlen beladen. Unter dem Schutz einer US-Patrouille sammelt ein städtischer Müllwagen die Müllberge der vergangenen Tage ein. Vor der zentralen Moschee im Stadtteil Kadhimiya haben fliegende Händler ihre Stände mit Haushaltswaren und allerlei Kleingerät aufgeschlagen, Mädchen versuchen mit Amuletten ihr Glück. Den Marktverkäufer Ahmed Jazem, der einige Packungen Teegläser auf der staubigen Straße ausgebreitet hat, plagt vor allem die nächtliche Ausgangssperre. Diese bringe ihn um die Hälfte seiner Einkünfte, klagt er, weil in Bagdad während der schon jetzt drückenden Mittagshitze niemand auf die Straße geht.

Wie viele Stadtteile leidet Kadhimiya weiter unter der mangelnden Strom- und Wasserversorgung. Dabei ist nach Auskunft von Mitarbeitern der städtischen Elektrizitätswerke keineswegs nur die Zerstörung der Infrastruktur schuld an der Misere: Mitglieder der inzwischen verbotenen Baath-Partei würden gezielt Sabotageakte verüben und untergetauchte Kämpfer der gefürchteten Fedajin-Miliz jeden terrorisieren, der sich offen über den Sturz Saddams freut.

Doch damit soll nun bald Schluss sein. Nachdem die Forderung nach einer Ablösung der alten Nomenklatura immer lauter wurde, hat Bremer angekündigt, die Kader der vier obersten Ebenen der Baath-Partei aus dem Verwaltungsapparat zu entfernen; davon sind 15.000 bis 30.000 Mitarbeiter betroffen. Sämtliche Milizen sollen bis Mitte Juni aufgelöst werden, bis dahin müssen alle automatischen und halbautomatischen Waffen abgegeben werden. Ausgenommen davon sind nur die kurdischen Peschmerga-Einheiten im Norden des Landes.

Unterdessen hat die Ziviladministration mit der Auszahlung der ersten Gehälter an die Staatsbediensteten begonnen. Mit einer Reform der Gehaltsstufen sollen künftig die Gehälter von Lehrern und Zivilangestellten deutlich erhöht werden, während der gesamte Sicherheitsapparat wie auch die Armee von den Gehaltslisten gestrichen wurden. Seit Bekanntgabe der Auflösung der Armee häufen sich freilich die Demonstrationen von plötzlich arbeitslos gewordenen Soldaten. Für Nahida Qasim ist es dennoch eine gute Nachricht. „Mein Gehalt hat nicht mal die Fahrtkosten gedeckt“, sagt die 36-jährige Mathelehrerin. Deshalb hat sie ihre Stelle fünf Jahren ruhen lassen. „Wenn das stimmt, kehre ich wieder in den Schuldienst zurück“, sagt sie.

Geldsorgen hatte Ahmed Fayli bislang weniger. Mit seinem Taxi kam er ganz gut über die Runden. Seitdem aber die Benzinpreise wegen der brachliegenden Ölförderung steil angestiegen sind, bleibt ihm von seinen Einkünften kaum etwas übrig. Zugleich ist er froh, nicht mehr ständig irgendwelchen Kontrollen ausgesetzt zu sein. Zehn Checkpoints habe es allein auf der halbstündigen Fahrt in den Norden der Stadt gegeben, sagt er. Wie viele Einwohner Bagdads glaubt auch der Taxifahrer, die Amerikaner hätten den Plünderungen absichtlich zugeschaut. „Aber vielleicht haben sie ja dazugelernt.“