Das Wüste lebt

Planage heißt die wohl radikalste und zweifellos kürzeste aktuelle Bremer Ausstellung: Mit der stürmen elf Studenten David Bades die letzte Bastion des Werkbegriffs. Und siehe: aus dem installierten Chaos entsteht Ordnung durch identische Materialien und wiederkehrende Motive

Verstörend. Goldletterndes Latein über dem Portal, ingenium artium studiis sacrum, tempelhafte Säulen und drinnen dann: ein Gerümpel-Konvolut, ausgehängte Türen stehen schräg Spalier, aufgebaut ist quer durch den Raum ein Gerüst, hier ein Erdhaufen inklusive Schaufel. Verschreckt fährt der Fuß zurück: Da, der Teppich aus Papierschnipseln, das ist doch Kunst! Da hat der innere Zensor ein dickes: Heilig! Betreten verboten! drüber gepinselt.

Der scharfe Gegensatz zum weihevollen Entree der Hochschule für Künste in der Dechanatsstraße macht zunächst einmal den Bau sichtbar. Er macht ihn, steingewordener Ausdruck überkommener Kunst-Religion zum heimlichen Kontrapunkt von „Planage“, der Ausstellung der Studenten von David Bade.

Ausstellung, das Wort passt so gerade noch, zumindest bei weicher Auslegung des Begriffs. Wenig hat Planage mit einer White-Cube-Schau gemein. Hier werden keine Plastiken oder Gemälde hübsch säuberlich an gekälkten Wänden aufgereiht: Erstens ist das bevorzugte Genre der Bade-Jünger die Installation. Zweitens ist noch nichts richtig fertig. Irgend jemand ist immer da und arbeitet, appliziert Abdeckstreifen an die Wand und Farbe, gestaltet weiter aus – ein extremes work in progress: Am Wochenende erst war Eröffnung. Am 31. Mai schon ist Finissage, Abbaubeginn.

Gut, ähnliches hat es schon gegeben. Da wären Claude Lévêques verwüstete Räume, oder die Happenings der 70er: Wolf Vostell hat einmal einen Güterwaggon mit Salatköpfen bestückt und zwischen zwei Städten pendeln lassen, bis chlorophyllhaltiger Schleim das Zuginnere auskleisterte. Dann war das Werk vorbei. Und natürlich, klassisch, Kurt Schwitters Merz-Bau in Hannover, über Jahre aus Fundstücken gewachsen, dann von den Nazis zerstört.

Doch gleichviel ob Dada, Fluxus oder Punk, selbst die radikalsten Entwürfe hatten jenes von der analytischen Philosophie behauptete Minimal-Kriterium der Kunst erfüllt: Die Markierung, die das Werk von seinem Umfeld abhebt. Und die erlaubt, es einem Autor zuzuordnen. Genau diese Grenze attackiert „Planage“. Identische Materialien ziehen Verbindungen, die Installationen greifen aufeinander über. „Das ganze“, erklärt Angela Ljiljanić „ist eine große Collage“.

Die Jungkünstlerin ruht sich gerade aus. Sie sitzt an einer Art Tafel von Styropor-Blöcken, die ein bloßer Pausentisch sein könnte, aber, verflixt nochmal, auch an Leonardos Abendmahl errinnert. Auf Autoren-Schildchen habe man bewusst verzichtet. „Selbst der Titel, das Wort Planage ist zusammen geschnitten aus Plan-Tage, Plantage und Blamage.“ Manchen Besuchern ginge das zu weit, sagt Ljiljanić. Verständlich. Denn die Chancen, diese Schau zu domestizieren sind gering. Sie ist wüst und wild. Das Handwerk ist ihr Nebensache. Sie zielt mehr aufs Leben.

Benno Schirrmeister

Finissage: 31. Mai, 19 Uhr