Armut vernichtet

Mit dem Appell für eine „solidarisch globalisierte Welt“ prägt Kardinal Rodriguez aus Honduras die erste wichtige Forderung des Kirchentags

von PHILIPP GESSLER

Nach Anreise, ein paar gemeinsamen Gebeten und einer Nacht in fremden Betten hat der Kirchentag am Donnerstag sein erstes wichtiges Sachthema gefunden: eine gerechte Welt und die Bedingungen, wie sie realisiert werden kann. Das Thema klang schon beim Eröffnungsgottesdienst am Vorabend an, als die evangelische Kirchentagspräsidentin Elisabeth Raiser einen Schuldenerlass für die Staaten des Südens forderte: „Jährlich fließen über 9 Milliarden Euro mehr Schuldzinsen aus den Ländern des Südens in den Norden als Entwicklungshilfe aus dem Norden in den Süden.“

Zu Christi Himmelfahrt dann ein erster Höhepunkt dieser wichtigen Diskussion um die Armut in der Welt auf dem Christentreffen. Im Internationalen Congress Centrum (ICC) hielt Oscar Andrés Rodriguez Maradiaga, Kardinal und Erzbischof in Honduras, einen mit Spannung erwarteten Vortrag. „Wem gehört die Welt?“, so seine Frage. Rodriguez, ein Vorkämpfer für die ärmsten Staaten der Welt, gilt als „papàbile“, also als möglicher nächster Papst. Er beantwortete die Frage im Titel seines Vortrags so, wie es zu erwarten war: als Kritik an einer Globalisierung, die die Länder der so genannten Dritten Welt verarmen lässt.

Die Globalisierung habe „die Kluft zwischen Arm und Reich noch verstärkt“, donnerte der Kardinal in einem der großen Säale des ICC hunderten Gästen des Kirchentags entgegen. Die Welt gehöre allen Menschen – dennoch subventioniere die EU eine Kuh in einem europäischen Stall mit 1,5 US-Dollar am Tag, während die Ärmsten der Armen in Lateinamerika, Afrika und Asien mit gerade mal 1 US-Dollar pro Tag durchkommen müssten. Nicht nur die neulich vergebens im Irak gesuchten Waffen seien „Massenvernichtungsmittel“. Zu ihnen gehörten im Weltmaßstab auch Armut, Korruption und soziale Ungerechtigkeit.

Rodriguez forderte statt der in den vergangenen Monaten betriebenen Schwächung der Vereinten Nationen eine „stärkere internationale Staatengemeinschaft“, die sich den Problemen der Globalisierung annehme – etwa überschuldeten Entwicklungsländern. In Anlehnung an das Papstwort von einer nötigen „Globalisierung der Solidarität“ rief er zum Einsatz für eine „solidarisch globalisierte Welt“ auf.

Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD) knüpfte an diesen Gedanken in der anschließenden Diskussion an: Sie forderte einen neuen Weltsicherheitsrat, der die Aufgabe haben solle, ökonomische und soziale Ungerechtigkeiten zu bekämpfen. „Wir können die Gestaltung der Welt nicht allein den multinationalen Konzernen und Industriestaaten überlassen“, sagte sie. Die Politikerin verwies darauf, dass die Industriestaaten ihre Landwirtschaften derzeit mit 350 Milliarden US-Dollar jährlich unterstützten. Für die Entwicklungshilfe stünden dagegen pro Jahr nur 57 Milliarden US-Dollar zur Verfügung.

Eine stärkere Mitarbeit der Kirchen bei der weltweiten Bewegung der Globalisierungskritiker forderte die hannoversche Landesbischöfin Margot Käßmann. Was sie darunter versteht, zeigt sie heute vor dem Bundeskanzleramt mit hunderten anderen Christinnen und Christen auf einer Demonstration für die Entschuldung der ärmsten Staaten. Um 14 Uhr geht es los vor dem Brandenburger Tor. Kochtöpfe mitbringen! Motto der Kundgebung: „Krach machen – wach machen! Damit Entschuldung nicht einschläft!“