berliner szenen Kirchentag (I)

Berliner Bügelbretter

Auf dem Boden vor der Haustür liegt ein Zettel. Ein erstaunlich attraktiver junger Mann – er könnte im Fachbereich Kulturwissenschaften an der Humboldt-Uni eingeschrieben sein und nebenher Platten auflegen – liegt lasziv auf einem Bügelbrett und lächelt mich verführerisch an. Er fragt: „Haben Sie noch ein Plätzchen frei? Besucher des Ökumenischen Kirchentags suchen private Übernachtungsmöglichkeiten.“ Kirchentag? Ökumene? Interessiert mich eigentlich nicht. Ich will den Zettel wegschmeißen, aber irgendwie gefällt mir der Mann auf dem Bügelbrett.

Die Kirchenleute müssen ganz schön arme Würstchen sein, denke ich, wenn die sogar auf einem Bügelbrett schlafen würden. Sollte ich dem jungen Gast nicht lieber mein Doppelbett mit Latexmatratze anbieten? Damit er sich in Berlin mal richtig erholen kann? Dann aber muss irgendwas bei der Kirchentagskampagne falsch gelaufen sein. Als sich die zukünftigen Gäste aus München ein paar Wochen später bei mir melden, sind sie weder jung noch arm, noch DJs. Im Gegenteil. Sie könnten meine Eltern sein und leisten auch gleich ihren Solidarbeitrag. Auf die Bitte, eigene Wäsche mitzubringen, wollen sie mir prompt die Handtücher von Tante Erna vermachen. Tante Erna braucht keine Handtücher mehr, Tante Erna ist schon seit Jahren unter der Erde. Als ich davon nichts wissen will, scheinen sie das als bescheidene Geste einer verarmten Berlinerin zu deuten. Denn ein paar Tage vor ihrer Ankunft schicken die freundlichen Münchener ein riesiges Carepaket mit Bettwäsche. Es passt kaum durch die Tür. Ob in Bayern wohl eine parallele Werbeaktion lief? Nach dem Motto: „Helfen Sie finanzschwachen Berlinern. Besuchen Sie den Ökumenischen Kirchentag“? (Fortsetzung folgt) ANNETTE KAUTT