Jukebox

Die Popmusik hat aber doch auch so einen Bart

Im Pop und Rock gibt es, mal ganz vereinfacht gesagt, zwei Möglichkeiten. Da ist zuerst das Entblößen, ein Mittel der Frauen, die mit einem weniger an Kleidung um ein mehr an Aufmerksamkeit heischen. Und zweitens das, tja, Verblößen, wie es die Männer machen können, die möglichst viel von ihrer Haut bedecken wollen. Der Zuwachs als ihre Besonderheit. Es geht also um den Bart, der sich vermehrt wieder in das Geschäft mit Pop und Rock drängt.

Das muss seine Gründe haben.

Die naheliegendste Vermutung, dass es sich hier einfach um einen Testosteronbeweis – entsprechend der alten Gleichsetzung von Rock und Pop mit Sex – handelt, scheidet dabei nicht aus. Erschöpfen aber kann sich der Bart kaum darin. Eine Sonderform mögen die Gesichtsmatten der Reggae-Rastafaris sein, denen ihr Glauben ein irgendwo in der Bibel notiertes Bart- und Haarschneideverbot jegliche Rasur unmöglich macht. Ansonsten sieht man den Bart aktuell gern in der Songwriter-Klasse, bei Männern wie Will Oldham oder Robert Fisher, der Kopf der Willard Grant Conspiracy, die sicher in der Tradition eines amerikanischen Songwriting stehen, wie es hü und hott des Mittleren Westens, so kommt es einem vor, schon immer gemacht wurde, mit dem Country und Folk und der Kirchenbank voll an verhaltenem Gospel. Verhalten, weil das hier doch eher eine weiße Kirche ist. Den Bart aber hört man in dieser Musik schon mit, sozusagen als Ökosiegel des Kulturbelassenen. Hier sollen die Lieder gedeihen ohne industriellen Dünger, in bodenständiger Scholle. Was ja ein nicht auszuhaltendes erzkonservatives Wolkenkuckucksheim wäre, wenn an diesen Bärten nicht auch das Schrathafte hängen würde mit seinen delirierenden Visionen. In der Musik scheinen die illustren Bärte mancher Ahnen durch, wie Henry David Thoreau aus dem Kreis der amerikanischen Idealisten, die Zausel der Lebensreformbewegung und selbst die russischen Anarchisten, Kropotkin, Bakunin, ganz wilde Bartträger die. Da wollte man überall mehr als nur eine kleinbürgerliche Rückbindung ans Althergebrachte. Scholle ja, aber mit Vision.

Die Prominenz der Countrymusik war traditionellerweise übrigens immer gut rasiert. Bis auf Willy Nelson, der aber doch vage für das Rebellentum in dieser Zunft steht. Und Robert Fisher spielt mit der Willard Grant Conspiracy am Samstag im Privatclub. „Pilgrim Road“ heißt das aktuelle Album. THOMAS MAUCH