BERLINER PLATTEN
: Es sind die Sänger, und die haben auch einen Song: Jan Böttcher und Miss Kenichi darf man durchaus mal Liedermacher nennen

Man darf es ja eigentlich nicht benutzen, dieses Wort. Liedermacher, da dreht es einem gleich den Magen um, da denkt man an Bärte, an Gitarrenpickung und an Diskussionsabende im Gewerkschaftsheim. Aber wenn man mal ausgeht von der ganz wortwörtlichen Bedeutung des Begriffs, lässt er sich bei Jan Böttcher halt einfach nicht vermeiden. Der ist nun mal einer, der Lieder macht, früher mit seiner Band Herr Nilsson, heute als Solist auf seinem ersten Album „Vom anderen Ende des Flures“. In diesen Liedern erzählt Böttcher von faulen Göttern, von Stromleitungen, die sich übers Land spannen, aber auch von der seltsamen Parallelwelt Sexindustrie. Die Themen der Stücke mögen bisweilen wahllos wirken, aber schlussendlich berichtet Böttcher, der sich sonst beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb rumtreibt, dann doch vom bundesrepublikanischen Alltag, wie wir ihn alle kennen. Nur verschlüsselt, verschroben und voller Anspielungen, übrigens eher literarischer Art als aus der Popgeschichte. Angefüllt mit kleinen Spitzen sind seine Texte, und mit erträglich übersichtlichen Meta-Ebenen ausgestattet. Dabei geht’s auch mal ökologisch zu, so wenn die Rede ist von Wäldern, die zu Möbeln werden, manchmal auch vorsichtig sozialkritisch, wenn der Trend zur „Wellness“ beobachtet wird, aber – und hier entspricht Böttcher nun ganz und gar nicht dem Klischee vom Liedermacher – sehr entschieden nicht politisch.

Eher wird’s schon mal prätentiös, so schriftstellermäßig wichtig und wortgeschliffen, aber diese seltenen Ausrutscher fängt zum Glück die musikalische Umsetzung wieder auf. Denn Böttcher hat sich Freunde eingeladen in seine Wohnung nach Pankow, um seine Reime unterlegen zu lassen mit reduziertem, wundervoll entspanntem Kammerpop. Der drängelt sich nun niemals in den Vordergrund, aber den zur Überhöhung neigenden Chansons von Böttcher verschafft er dank Lo-Fi-Bescheidenheit wieder Bodenhaftung.

Auch Katrin Hahner, muss wohl mal gesagt werden, ist eine Liedermacherin. Im Zentrum von „Fox“, dem zweiten Album ihres Alter Egos Miss Kenichi, stehen schließlich allein Stimme und Gitarre. Doch keine Angst, hier hören die Ähnlichkeiten mit dem Joan-Baez-Modell auch schon wieder auf: Die aus dem Fränkischen nach Berlin gekommene Hahner spielt ihr Instrument wie ein übervorsichtiger Punkrocker, während sich ihre Stimme bisweilen zu verlaufen scheint auf der Suche nach einer eingängigen Melodie. Der Einsatz zusätzlicher Mittel ist sparsam, vom solitären wie monotonen Klavierton in „The Chasing“ über die Idee einer Slide-Gitarre in „Light Blue Dust“ bis zum im Hidden Track versteckten Duett mit Indierock-Ikone Hugo Race. So aufs Gerippe entkleidet entstehen einige wirklich berückende Momente, die erholsamerweise nicht auf die gewohnten Betroffenheitsklischee des modernen Oberflächenpops zurückgreifen müssen.

Musikalische Intimität, das beweist Miss Kenichi, muss nicht unbedingt Fremdschämen auslösen. Und Liedermacherei nicht notgedrungen eine Sozialkundelehrer-Allergie. THOMAS WINKLER

Jan Böttcher: „Vom anderen Ende des Flures“ (Kook) live heute im Zebrano-Theater, 20 Uhr. 13/9 €

Miss Kenichi: „Fox“ (Strang Ways) live Mittwoch, 24. 12. im Admiralspalast, 24 Uhr. 14 €