piwik no script img

Eine indische Affäre

Let‘s go Desi: Der Hype um Bhangra, Indien-Beats und Bollywood eröffnet neue Chancen für den kleinen musikalischen Grenzverkehr. Eine Recherche zwischen Biebesheim, London und Neu-Dehli

von STEFAN MÜLLER

Der Sänger auf der Bühne des „Paradise Palace“ im südhessischen Biebesheim trug ein langes, dunkelblaues Seidengewand. Vor ihm standen rund hundert Konzertbesucher, darunter viele Sikhs mit Turban und Frauen in bunten Sari-Kleidern. Alle warteten sie auf den stimmgewaltigen Labh Janjua aus Nordindien, der zum ersten Mal in Deutschland auftrat. Begleitet vom Rhythmus der großen Dhol-Trommel, hob er zu dem Stück an, auf das alle gewartet hatten: „Mundia-a-an too ba-a-a-ach ke!“, ertönte sein Gesang zum gleichnamigen Hit von Panjabi MC, der in diesem Jahr auch schon allerorten im deutschen Radio lief.

Mit mindestens tausend deutschen Bhangra-Fans hatte der Veranstalter Royal Kaopor deshalb gerechnet. Und war am Ende enttäuscht, dass doch nur wieder die spärlich gesäte indische Gemeinde zum Konzert kam. War also doch nichts mit dem „exotischen Sommer“ (Stern), von dem manche Magazine bereits, angesichts des kleinen Booms an Bollywood-Filmen, Indien-Mode und des unverhofften Bhangra-Hits von Panjabi MC, schwärmten?

Dabei hatte der überraschende Erfolg von Panjabi MC doch eine regelrechte kleine Bhangra-Welle losgetreten. Hektisch warfen andere Plattenfirmen alles auf den Markt, was irgendwie nach Indien klang: Neue CD-Sampler mit Titeln wie „Bollywood Beats“ oder „Bombay Club“ stapeln sich in den Läden, Partyreihen wurden gestartet, und auch die Werbung fährt voll ab auf lustige Inder. Selbst die Dance-Veteranen von Snap haben gerade ihre alte Erfolgsnummer noch einmal neu recycelt: Als „The Power of Bhangra“ soll das Stück nun wieder erscheinen. Es scheint, als ob ausgerechnet ein jahrhundertealter Rhythmus aus dem Pandschab der schwächelnden Musikindustrie neue Impulse verleihen soll.

Denn Bhangra ist im Grunde ein alter Hut: Im Pandschab gehört er, als Ernte- und Hochzeitsmusik, zur Folklore des „Fünfstromlands“ zwischen Nordindien und Nordpakistan. Auf dem Weg nach Großbritanien, im Gepäck der Migranten vom indischen Subkontinent, wandelte er sich zur urbanen Partymusik. Für die Einwandererkids der zweiten Generation, welche die Klänge ihrer Eltern in Kombination mit Hiphop, Ragga und UK-Garage zu neuen hybriden Blüten trieben, bildete Bhangra stets eine Ergänzung zu Gangstarap und Black Music aus den USA. Anders als die filigrane indische Klassik oder der blumige Hindi-Pop, kommt Bhangra oft brachial und rau daher; er zwingt die Menschen geradezu auf die Tanzfläche. Ein Stück Heimatgefühl aber ist bis heute eingebaut in die „Desi-Beats“ („Desi“ ist eine Umschreibung für „Heimat in der Fremde“). Noch heute dürfen etwa der pulsierende Schlag der Dhol-Trommel und die einsaitige Tumbi-Laute in keinem Stück fehlen.

Die britische Popindustrie hat sich immer schon schwer getan mit dem Sound der Einwanderer vor ihrer Haustür. Zwar brachte der Sänger Apache Indian mit seiner Musik, die er „Bhangramuffin“ nannte, einen Hit in die britischen Charts. Das war Mitte der Neunzigerjahre, das Stück hieß „Boom-Shaka-lak“. Doch danach wurde es still um Bhangra. Dafür sorgten ein paar junge DJs und Produzenten indisch-britischer Herkunft eine Weile lang in Londons Clubszene für Aufsehen, indem sie komplizierte Tabla-Läufe in rasante Drum-&-Bass-Tracks mischten oder die Sitar in ihren Tracks wie eine Funk-Gitarre klingen ließen. „Asian Underground“ wurde diese urbane Großstadtmusik getauft, die sich vom rauen Bhangra durch die ausgefeilteren Arrangements und die komplett andere Instrumentierung unterschied. Jahrelang hatten die Produzenten aus dem „Asian Underground“-Lager Bhangra als „Schrott“ abgetan. „Diese Leute beißen sich jetzt ganz schön auf die Zunge“, sagt DJ Ritu, die durch ihre Radiosendung auf BBC als eine Art grand dame der indobritischen Fusion-Szene gilt. Doch die ursprünglich auf Abstand bedachte Londoner Szene habe sich schnell dem neuen Hype angepasst. „Mittlerweile spielen die Asian-Underground-Clubs auch Bollywood-Schlager und Bhangra-Hits.“ DJ Ritu selbst hat gerade mit dem „Rough Guide to the Asian Underground“ eine Art Retrospektive zusammengestellt, auf der noch einmal alle Schlüsselfiguren der Szene wie die Asian Dub Foundation, Fun-Da-Mental und Talvin Singh versammelt sind. Der Untertitel: „Beats, Breaks and Tablas: Cultures Collide“.

Kulturelle Missverständnisse offenbarten sich auch, als das Goethe-Institut im Frühjahr drei Berliner DJs nach Neu-Dehli einlud. Die feinsinnigen DJs waren perplex: „Oft wurde nach knüppelhartem Techno verlangt“, erinnert sich Roskow Kretschmann vom „Jazzanova“-Kollektiv, zwischendurch aber immer auch Bhangra. Die junge Clubszene in Indien sei erst im Entstehen begriffen, und das unter erschwerten Bedingungen, so Kretschmann: „Die Regierung versucht, illegale Bars oder Clubs zu unterbinden.“ Allenfalls in Farmhäusern am Rande der Stadt gebe es spontane Partys für neureiche indische Jugendliche. Trotzdem befinde sich das ganze Land in einer Art Aufbruchstimmung.

„Wir hätten gern etwas mehr indisch beeinflusste Musik gehört“, gesteht Kretschmann, „weil wir indische Einfüsse ja auch mögen.“ Stattdessen musste man feststellen, dass in Indien die Bassdrum regiert. Immerhin: Beim Stöbern nach alten Platten wurden die Berliner schnell fündig. Das wird sich dann wiederum womöglich auf ihren nächsten Platten bemerkbar machen.

Panjabi MC: „The Album“ (Eastwest); Diverse: „The Rough Guide to Asian Underground. Beats, breaks and tablas: cultures collide“ (Edel Contraire); Diverse: „The Best of Bollywood“ (Universal)

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen