Kirche verlässt Kinder

Die Bistümer Essen und Münster sparen bei Kindergartenplätzen. Kommunen wollen die Kinder unterbringen – zur Not in der nächsten Stadt

Wer früher fünf Minuten Fußweg zum Kindergarten hatte, muss jetzt mal zehn Minuten Auto fahren

VON ANNIKA JOERES

Die Kirchen sparen an ihrem Nachwuchs: Sie wollen ab kommenden Sommer in den Bistümern Essen und Münster tausende von Kindergartenplätzen nicht mehr finanzieren. „Die Entscheidung ist hart“, sagt Harald Westbeld, Sprecher der Caritas Münster. Insgesamt sollen über 7.500 Kindergartenplätze betroffen sein. Sinkende Steuereinnahmen durch Austritte und Wirtschaftsflaute ließen aber keine andere Wahl. Das Bistum will durch diese Maßnahme immerhin 6,2 Millionen Euro einsparen.

Bisher hatten die Kirchengemeinden immer einen bestimmten „Katholiken-Schlüssel“: auf 1.200 Gläubige kam eine Kindergartengruppe, jetzt kommt eine erst auf 1.500 Gläubige. Rein kirchlich waren die Kindergärten allerdings nie finanziert: 80 Prozent der Kosten teilen sich das Land und die Kommune, nur 20 Prozent steuert das christliche Budget bei. Neben den kirchliche Kindergruppen gibt es auch noch freie Elterninitiativen und Verbände wie die Arbeiterwohlfahrt (AWO), die die Kommunen mit eigenen Kindergärten entlasten. Und nur so schaffen es die Städte, das Gesetz zu erfüllen: Sie sind verpflichtet, jedem Kind nach dem vollendeten dritten Lebensjahr einen Platz in einem Kindergarten anzubieten.

„Wir wissen nicht, wie wir damit umgehen sollen“, sagt der Jugendamtsleiter aus Münster, Clemens Homann. Bisher habe es immer die Vereinbarung gegeben, keine Gruppen komplett zu schließen, aber jetzt kündige die Kirche diesen Konsens offenbar auf. Wie die Stadt Münster den baldigen Mangel aufheben will, kann Homann nicht sagen. „Wir wollen aber alles tun, damit kein Kind im Sommer auf der Straße steht“, sagt er.

Das könnte in Essen schwierig werden. Hier muss das Bistum über 130 Kindergartengruppen schließen – das sind fast zehn Prozent aller kirchlichen Plätze. Das Bistum ist fast für das gesamte Ruhrgebiet verantwortlich, in seinen Bezirk fallen Duisburg, Essen, Mülheim, Gladbeck, Bottrop und das südliche Ruhrgebiet. „Wir sind an unsere Grenzen gestoßen“, sagt Bistumssprecher Ulrich Lota. Immerhin habe die Kirche im Ruhrgebiet in den vergangenen 40 Jahren mehr als ein Drittel ihrer Mitglieder verloren und damit auch Steuergelder. Die Eltern der Kinder haben allerdings kein Verständnis für die Schließungen: „Die Reaktionen sind oft bitter“, sagt Lota. Viele Mütter und Väter würden direkt den Bischof anschreiben und fragen, wie er so eine Ungerechtigkeit nur zulassen könne. Lota wirbt um Verständnis für die Kürzungen. „Was sollen wir denn machen?“, fragt Lota. Die Kirche könne doch nicht die Steuern erhöhen wie der Staat.

Die Stadt Essen hofft nun auf die demographische Entwicklung. „Bald brauchen wir sowieso weniger Plätze“, glaubt Sprecher Detlev Feige. Bis zum kommenden Sommer habe die Stadt aber 100.000 Euro zusätzlich bereitgestellt und alle Kinder versorgt. Allerdings nicht so, wie es sich vor allem berufstätige Eltern wünschen. „Wer früher fünf Minuten Fußweg zum Kindergarten hatte, muss jetzt mal zehn Minuten mit dem Auto fahren.“