Irgendwieirgendwoirgendwann

Mit Nena lockt der DGB zur Großdemonstration gegen die Sozialpolitik der Bundesregierung nach Köln. Kritiker der Gewerkschaftspolitik nutzen die Gelegenheit zu einer Gegenveranstaltung

VON DIRK ECKERT
UND JÜRGEN SCHÖN

Bis zu einer Viertelstunde standen am Samstag die Kunden in der Filiale einer großen Bäckereikette am Kölner Hohenzollernring Schlange. „Das ist ja fast wie beim Ringfest“, stöhnte die Verkäuferin. Die Besitzer der Imbissbuden und Büdchen hier und in der Ehrenstraße dagegen strahlten über die Mehreinnahmen. Nur die Modeshops und Buchläden zogen weniger Kunden. „Wat is dat denn für eine Scheiße“, murrte ein Shopper, dem der Weg in die Boutique versperrt war. Mehr als 100.000 Demonstranten bevölkerten den Ring zwischen Friesenplatz und Rudolfplatz. Aufgerufen zur Demo unter dem Motto „Steh auf gegen Sozialabbau“ hatten der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB), dessen Mitgliedgewerkschaften und Attac.

Schon um neun Uhr morgens hatten sich die ersten auf der „schäl Sick“ vor dem Hyatt-Hotel versammelt. In mehr als 1.000 Bussen waren die Demonstranten aus ganz Nordrhein-Westfalen angereist. „Staus an allen Ausfahrten des östlichen Autobahnrings“ meldete die Kölner Polizei. Die letzten trafen erst ein, als sich der Protestzug mit Motorrädern, Feuerwehrwagen, Fahnen, Transparenten und vereinzelten Musikgruppen schon lange auf den Weg über die Deutzer Brücke durch die Innenstadt zum Ring gemacht hatte.

Unter ihnen waren nicht nur Unterstützer der Gewerkschaftspolitik. Rund 1.000 Demonstranten folgten am Heumarkt dem Aufruf des „Antikapitalistischen und Sozialrevolutionären Blocks“ und scherten aus dem offiziellen Marsch aus. Sie zogen zu einer eigenen Kundgebung auf dem Zülpicher Platz.

Dort warfen die Redner des „Blocks“ dem DGB vor, die Regierungspolitik in Wirklichkeit zu unterstützen und sich als Vermittlungsinstanz für „behutsamen“ Sozialabbau anzubieten. Die Führungsspitzen der Gewerkschaften seien zu sehr „selbst Genossinnen und Genossen der Sozialdemokratischen Partei“ und deshalb „nicht bereit, zur Bundesregierung auf Konfrontationskurs zu gehen“, kritisierten sie.

„Das war die einzige Möglichkeit, Inhalte in die Demonstration zu tragen“, begründete Christian Geller, Sprecher des Antikapitalistischen Blocks, gegenüber der taz das Vorgehen. Mit der Resonanz zeigte er sich zufrieden. „Bestimmt 30 Prozent der Leute haben unsere Aktion mitbekommen“, schätzt Geller.

Der DGB reagierte, indem er eine Reihe Ordner vor den Linksradikalen postierte. Gegenüber der taz warf Geller dem DGB vor, sich damit nicht an vorher getroffene Absprachen gehalten zu haben. Im Vorfeld der Demonstration sei dem „Block“ gesagt worden, dass der DGB bereit sei, kontroverse Positionen auszuhalten.

Die Gewerkschaftskritiker beendeten ihre Gegendemonstration am Zülpicher Platz mit kämpferischen Aufrufen zum „Klassenkampf“. Ein Redner kündigte unter Verweis auf die Hausbesetzung vor einer Woche in Köln an, dass es nach dem „Prinzip der Aneignung“ in den nächsten Monaten wieder ein „Soziales Zentrum“ in Köln geben werde. „Wir jammern nicht, das machen die da drüben“, rief er unter Anspielung auf den DGB. „Wir fragen nicht mehr, wir stellen auch keine Forderungen, wir nehmen uns, was wir brauchen.“

Vor der Bühne auf dem Friesenplatz – sinnigerweise genau zwischen der Commerzbank und dem Gerling-Block aufgebaut – heizte unterdessen die Pop-Sängerin Nena die Stimmung ein. Sie bestritt neben „Vitamin D.“ und der Kölner Rockband Brings das musikalische Rahmenprogramm der DGB-Veranstaltung. Ihr Hit „Irgendwie, irgendwo, irgendwann“ beschrieb die Stimmung vieler Demonstranten, die mit ihrem Protest zwar die Bundesregierung zu einer sozialeren Politik zwingen wollten, aber doch nicht so recht an den Erfolg glaubten.

Zwischen den Live-Auftritten der Musikgruppen sprachen auf der DGB-Bühne Gewerkschaftsfunktionäre aus dem In- und Ausland und weitere Repräsentanten von Sozialverbänden, Kirchen und Studierendenorganisationen. Wer keinen Platz mehr vor der großen Bühne gefunden hatte, konnte die Reden auch auf drei über den Ring verteilten Riesenleinwänden verfolgen.

Viele Demo-Teilnehmer zogen es allerdings vor, sich an den zahlreichen Ständen von Parteien, sozialen Verbänden oder Tier- und Umweltschützern mit Informationen einzudecken, statt den Reden zu lauschen. Auf der eigens aufgestellten Attac-Bühne übertönte Live-Musik, unter anderem von Klaus dem Geiger, das Treiben auf der DGB-Bühne am Friesenplatz.

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