Ohne den Kanzlerbrief ist alles nichts

„Das ist ein Hammer“: Trotz der Einigung im Koalitionsausschuss attackiert CDU-Chef Bernd Neumann die Sozialsenatorin und empfiehlt ihr, vermeintlich überhöhte Sozialhilfeleistungen zu senken. Das Problem ist nur: Neumann benutzte falsche Zahlen

„Ich will das nicht der Böswilligkeit der Sozialsenatorin zuschreiben“

Bremen taz ■ Irgendwie sahen die zwei Herren aus wie Vater und Sohn nach einer anstrengenden Familienfeier – der jüngere noch etwas bleich um die Nase, und der ältere eher ins Rotgesichtige changierend. Die beiden Landesvorsitzenden der großen Koalition, Carsten Sieling von der SPD und Bernd Neumann von der CDU, stellten am Samstag die Ergebnisse des Koalitionsausschusses zur Etatlücke im Doppelhaushalt 2004/05 vor.

Die Einigung in Kürze: Die jeweils 60 Millionen Euro, die dem Sozialressort für die Jahre 2004 und 2005 fehlen, müssen irgendwie zusammengekratzt werden. Die Sozialsenatorin selbst muss ein Drittel, also 20 Millionen Euro im Jahr, aufbringen, alle anderen Ressorts werden aber auch zur Kasse gebeten. Der Personalbestand soll reduziert werden, Planungsreserven der Ressorts werden angetastet, und in einem „Solidarpakt“ sollen nach den Beamten auch die Angestellten im öffentlichen Dienst zur Kasse gebeten werden. Durch die Gründung einer „Gesellschaft für Kindertagesheim-Infrastruktur“ erwartet sich die Koalition „Steuerungsgewinne“. Ferner gilt weiterhin die Devise: Schneller abschieben! Und: Mehr Kinder in Pflegefamilien statt in Heime!

SPD-Chef Sieling machte keinen Hehl daraus, dass der Haushaltsentwurf „noch eine Vielzahl von Risiken“ berge. Allerdings wolle man unter allen Umständen „weiter festhalten am dem sehr ehrgeizigen Ziel eines verfassungskonformen Haushalts“. Das sei „entscheidende Grundlage“ für alle Verhandlungen, die Bürgermeister Henning Scherf in Berlin über den „Kanzlerbrief“ führen werde – 500 Millionen Euro im Jahr verspricht sich Bremen davon. „Wenn das mit dem Kanzlerbrief nicht funktioniert“, so Sieling, der dabei noch ein bisschen bleicher wurde, „dann ist der verfassungskonforme Haushalt nicht zu erreichen“.

Alles sei in „ruhiger, sachlicher Atmosphäre, freundschaftlich und fair“ abgehandelt worden, lobte CDU-Boss Neumann zunächst den Koalitionspartner: „Aber“, fuhr er forsch fort und drückte den Rücken durch, „es gibt da ein Problem, und das liegt im Sozialressort“. Dass nur wenige Monate nach Vorlage von Haushaltseckwerten plötzlich ein so großes Loch im Etat entdeckt werde, sei „kein normaler Vorgang“, so Neumann: „Das ist ein Hammer.“ Er wollte das zwar „nicht der Böswilligkeit der Sozialsenatorin zuschreiben“, empfahl Röpke aber mit sardonischem Unterton, „doch mal herauszufinden, wer in ihrem Haus dafür verantwortlich war – den würde ich feuern“. Mit Vorschlägen des Röpke-Ressorts, etwa Maßnahmen der Integration in den Arbeitsmarkt zu kürzen, habe er „durchaus Probleme“, sagte der CDU-Chef. Sein Gegenvorschlag: „Im Sozialhilfebereich ist noch Luft drin – und zwar, was die Höhe der Sozialhilfe anbetrifft.“ Ein Sozialhilfeempfänger erhalte in Bremen 278 Euro im Monat, viel mehr als in vergleichbaren Großstädten – „das kann in einem Haushaltsnotlageland nicht akzeptiert werden“, dröhnte Neumann.

Das scharfe Dementi aus dem Sozialressort ließ nicht lange auf sich warten: „Herr Neumann operiert mit falschen Zahlen“, so Röpke. Tatsächlich liege Bremen mit 223 Euro pro Monat für jeden Sozialhilfeempfänger als laufende Hilfe zum Lebensunterhalt „deutlich unter dem Durchschnitt“, der bei 237 Euro liegt. Die von Neumann genannte Summe sei vielmehr die Pro-Kopf-Ausgaben umgerechnet auf die Einwohnerzahl – da Bremen eine sehr hohe Dichte an Sozialhilfeempfängern habe, sei diese Zahl höher als in anderen Großstädten. „Entweder hat Herr Neumann sich schlicht geirrt, oder er wollte mit seiner schiefen Argumentation bewusst für Verwirrung sorgen“, so Röpke.

Was den Kanzlerbrief angeht, habe der Bundeskanzler übrigens eine Arbeitsgruppe eingesetzt, ließ Neumann wissen: Auf Bremer Seite verhandelten dabei Senatskanzleichef Reinhard Hoffmann, Finanzstaatsrat Henning Lühr und der Senatsbeauftragte Günter Dannemann, der Bund schicke Kanzleramtschef Frank-Walter Steinmeier sowie die Finanzstaatssekretäre Barbara Hendricks und Karl Diller in die Runde. Markus Jox