Lächelnd auf dem Turm

Die deutschen Wasserspringer freuen sich auf Olympia, weil dort endlich wieder öffentliche Notiz von ihnen und ihren Erfolgen genommen wird. Bei den deutschen Meisterschaften ist das nicht der Fall

AUS AACHEN THORSTEN KARBACH

Die Tribüne in der Aachener Westhalle ist ordentlich gefüllt. Mit Aktiven. Mit Trainern. Mit Verwandten und Freunden. „Neutrale Zuschauer“ verlieren sich hingegen nur selten zu den deutschen Wasserspringern – auch wenn diese ihre deutschen Hallenmeisterschaften ausspringen. „Wir sind einfach zu unbekannt“, zuckt Ditte Kotzian mit den Schultern. Die überragende Athletin der Meisterschaften von Aachen, die sich erstmals auch als Solistin vom Einer und Dreier grandios in Szene setzte und beide Titel hamsterte, kennt ihr Schicksal und das ihrer Kollegen. Es ist das Schicksal einer ebenso technisch anspruchsvollen wie für den Laien schwer zu lesende Sportart. Wo, wie und wann die Athleten in Flug- und Eintauchphase Punkte liegen lassen, bleibt dem ungeschulten Auge eben verborgen. Die große Bühne wird den deutschen Wasserspringern so nur selten geöffnet. Bei Olympia ist das natürlich der Fall, dann bei der EM. Doch selbst bei den großen Ereignissen steht die Kombination von Eleganz und Geschwindigkeit stets im Schatten der Schwimmer. „Wir machen uns keine Illusion mehr, dass die Massen zu unserem Sport strömen“, sagt Ursula Klinger, Sportdirektorin und damit so etwas wie die oberste Trainerin für die Wasserspringer im Deutschen Schwimmverband.

Ein bisschen Werbung in eigener Sache soll es aber doch sein. Am besten mit einem guten Abschneiden bei den Europameisterschaften vom 8. bis 14. Mai in Madrid – und dann natürlich bei Olympia in Athen. Insbesondere in den Synchron-Disziplinen rechnet der Verband mit Medaillen. Ditte Kotzian und ihre Berliner Partnerin Conny Schmalfuß sowie Tobias Schellenberg (Leipzig) und Andreas Wels (Halle) wurden beim Weltcup, sozusagen dem Probelauf zu Olympia, Dritte. Aber auch Annett Gamm (Dresden) und Nora Subschinski (Berlin) vom Turm tragen Medaillenhoffnungen.

Das mag schön sein für die deutschen Springer. Ursula Klinger sagt aber auch: „Die Konkurrenz ist dermaßen angewachsen. Gerade im Synchron gab es weltweit eine regelrechte Leistungsexplosion.“ Bei der EM gesellen sich auch noch Heiko Meyer (Riesa) und der junge Tony Adam (Dresden) zu dem Medaillenkandidaten. Für Olympia hatte das Turm-Synchronpaar als Weltcup-Achter seinen Startplatz verloren; in Athen werden nur acht Paare an den Start gehen – und der achte Startplatz wurde für die abgeschlagen agierenden Gastgeber reserviert. „Wir empfinden es als ungerecht“, moniert Klinger den Entscheid des Weltverbandes. Bei Heiko Meyer hat die Entscheidung vor allem eines ausgelöst: Trotz.

Der 27-Jährige aus Riesa will es allen noch einmal beweisen. Während die Sportdirektorin für die Einzeldisziplinen sechste bis achte Plätze erhoffen darf, sagt der gebürtige Dresdner selbstbewusst: „Bei den Spielen bin ich doppelt motiviert. In Deutschland kann ich nur verlieren, aber dort werde ich voll auf Angriff springen.“ Der Mann hat in Deutschland eben alles gewonnen – nur hat es kaum einer gemerkt. In Athen ist das anders. Dort surren die Fernsehkameras, dort jubeln tausende Zuschauer in der Halle. „Das wird wie im Rausch“, weiß Meyer und grinst: „Bei einer deutschen Meisterschaft hat man schon mal Angst, dass man patzt. Olympia ist einfach schön. Und ich steh lieber lächelnd auf dem Turm als mit schlotternden Knien.“

Über ein abschließendes Siegerlächeln würde sich Walter Alt, Vorsitzender der Fachsparte Springen im DSV, nicht beschweren. Dies würde auch der Nachwuchsarbeit einen Schub geben. Anfänger gibt es durchaus ausreichend, doch wenn Trainingsintensität und Schwierigkeit zunehmen, winken viele Talente ab. „Es ist eben eine Sportart, bei der Überwindung dazugehört“, weiß Ursula Klinger. „In der Spitze sind wir immer noch stark, aber wir werden immer weniger in der Breite“, sagt sie. Gute Ergebnisse bei den Großereignissen sollen den Nachwuchs motivieren. „Wir sind da sehr optimistisch“, sagt Alt.

Dabei war noch vor der Saison für solchen Optimismus nicht allzu viel Grund vorhanden, die deutschen Springer drohten den Anschluss an die Weltspitze zu verlieren. Dann wurden Trainingsintensität und Schwierigkeitsgrad erhöht, und, siehe da, die Ergebnisse machen plötzlich wieder Mut. „Wir werden jetzt aber nicht blauäugig Siege einfordern“, schränkt Alt ein. Auch Kotzian/Schmalfuß, seit zwei Jahren mit ihrem Programm Weltspitze, wissen um die Schwere ihrer olympischen Aufgabe: „Wir wollen zugreifen, aber es wird ein heißes Rennen.“ Die Gedanken an ihre letzten Olympischen Spiele zaubern Ditte Kotzian schon jetzt ein Lächeln um die Mundwinkel. „Sydney war unglaublich. Ich freu mich auf Athen.“ Und das nicht nur, weil sie durchaus praktisch denkt: „Bei Olympia brauche ich nicht jeden anzurufen, um zu erzählen, was ich erreicht habe. Dort gibt es ja Fernsehen.“ In Aachen hingegen musste sie zum Mobiltelefon greifen und die gute Nachricht von ihren Meistertiteln persönlich überbringen. Gesehen hatte es ja – mal wieder – nur die Springerfamilie.